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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hätte er gerne gewartet, bis Elwa wieder herunterkam. Die Küche – zweifellos ihr Reich, in dem sie auch den beruhigenden Tee bereiten würde – lag direkt neben der Diele, wie es in den meisten Häusern so nah am Wasser oder gar zwischen zwei Fleeten üblich war, wenn kein genügend geräumiger Keller zur Verfügung stand. Aber er hatte nun keine Geduld mehr.
    So kramte er aus den Tiefen seiner Rocktasche eine Münze hervor, prüfte sie nicht allzu genau und legte sie im Tausch gegen eines dieser verführerisch duftenden süßen Brötchen auf den Ladentisch. Er biss hinein und seufzte glücklich. Er war so hungrig, dass er auch ein steinhartes altbackenes Stück Schwarzbrot genommen hätte. Der süße Geschmack auf der Zunge, dazu das ganz fein gehackte Orangeat, einige Rosinen und Pistazienstückchen und irgendetwas, das er nicht erkannte – das war Glück. Rasch griff er noch eines, steckte es in die Tasche und verließ das Haus.
    Die Menschentraube vor der Lederwarenhandlung war verschwunden. Was er nun bedauerte, es wäre von Vorteil gewesen, zuzuhören und diese oder jene Frage zu stellen. Er stopfte den Rest des Brötchens in den Mund und sah sich genussvoll kauend um. Die Straße – eigentlich waren es zwei, die westlich und östlich entlang des Fleets verliefen – war nicht mehr so belebt wie vorhin, als er vom Eimbeck’schen Haus hergekommen war. Es war nun Mittagszeit, auch die Tür der Lederwarenhandlung war verschlossen.
    Keine seiner Fragen empfand er als befriedigend beantwortet. Zukünftig musste er sich zusammenreißen und hart bleiben. Schließlich versah er ein Amt, das für die Stadt, für alle, die darin lebten, überaus wichtig war. Das Militär mochte auf den ersten Blick für Ordnung sorgen, er jedoch, der Weddemeister mit seinen Helfern, sorgte für Gerechtigkeit. Der Gedanke gefiel ihm gut, wenn er auch einen bitteren Beigeschmack hatte, weil man es ihm nur wenig dankte.
    Er wischte sich energisch die letzen Krümel von Mund und Rock. Schluss mit dem Lamento. Es lag nur an ihm selbst, sich Respekt zu verschaffen, genau betrachtet hatte er zumindest in dieser Hinsicht eine Menge erreicht, seit er Weddemeister geworden war. Bei allem gelegentlichen Hadern wollte er keinen anderen Beruf, keine andere Arbeit. Er mochte es, Geheimnisse aufzudecken, es wurde nie langweilig, und keiner sagte ihm, was er zu tun hatte, auch jetzt entschied er darüber selbst. Das war mehr Freiheit, als die meisten hatten. Und so entschied er, dass er noch nicht zurück in seine Amtsstube im Rathaus gehen würde, sondern auf direktem Weg zum Bremer Schlüssel .
    Jakobsen würde ihm ehrliche Auskunft geben, zumindest darüber, ob der Konditor sich geprügelt hatte und mit wem, ob er betrunken war, als er das Gasthaus verließ, und wann er es verlassen hatte. Und Ruth, Jakobsens Schwester, die Künstlerin in der engen Küche hinter dem Schanktisch, würde ihm einen Teller ihres köstlichen Eintopfs servieren, dicke Fleischstücke drin und eine Scheibe Roggenbrot dazu. Wagner machte sich eilig auf den Weg. Es war nicht weit, in fünf, höchstens zehn Minuten konnte er dort sein.
    Dummerweise hatte er vergessen, seinen Kopf auszuschalten. So brauchte er ein wenig länger, bis er den Ort der erwünschten Auskünfte und ersehnten Köstlichkeiten erreichte. Denn als er auf die schmale Brücke über das Fleet trat, der die beiden Seiten der Straße verband, blieb er stehen und sah ins Wasser hinunter. Just an dieser Stelle musste der Nachtwächter den Toten gefunden haben. Er würde ihn noch genau befragen, am Nachmittag vielleicht, wenn der Mann ein paar Stunden geschlafen hatte. Wagner war kein Unmensch, und ein Nachtwächter sollte wach und ausgeruht sein, wenn er die friedlich schlafenden Bürger der Stadt vor nächtlichen Herumtreibern und Schurken aller Art beschützte und vor Sturmflut und Feuersbrunst warnte.
    Hier also war es passiert. Er stützte sich auf das Geländer und fuhr gleich wieder auf. Womöglich hatte sich Hofmann gestern Nacht auch nur auf das Geländer stützen wollen, es hatte geschwankt, und er war gefallen?
    Als er nun mit beiden Händen am Geländer rüttelte, bot es festen Widerstand. Was bemerkenswert war, es gab genug wackelige Bohlen und Geländer. Eine der Brücken am Hafen hatte man sperren müssen, weil sie so baufällig war. Sie drohte unter den nächsten Schritten einzustürzen, und niemand fühlte sich zuständig, die Kosten für die Reparatur oder eine neue Brücke zu

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