Die Nacht des Schierlings
Nebentisch. So blöde kann doch keiner sein.»
«Doch, mein Freund», grinste Jakobsen, «manche sind so blöde. Aber der Hofmann war ja ein gewitzter Kerl. In allem. Hier hat er jedenfalls nur Würfel gespielt. Auch mal Karten, aber meistens Würfel.»
«Um Geld?», fragte Rosina knapp.
«Nicht bei mir!» Jakobsen machte eine fromme Miene. «Das ist doch verboten, Madam, hast du das vergessen?»
Alle lachten, aber nicht zu laut, und Magnus fragte: «Wenn sie um Geld gespielt hätten , was sie in deinem ehrbaren Haus natürlich nicht getan haben, was denkst du: Hätten sie dann um hohe Beträge gespielt? Und womöglich unehrlich?»
Jakobsen neigte abwägend den Kopf. «Keine Ahnung, was die Gäste machen, wenn ich nicht daneben stehe, was ich für gewöhnlich nur für ein paar Minuten tue. Außer bei Freunden. In diesem Fall? Nee, das weiß ich nicht. Aber irgendwie merkt man, wenn’s um viel geht. Bei Hofmann ging es sicher nur um Pfennige. Ich meine, es wäre nur um Pfennige gegangen.»
«Die läppern sich auch», stellte Servatius trübe fest, und Jean seufzte dazu in leidvoller Erinnerung: «Die läppern sich sogar ganz ungemein. Wenn man Pech hat.»
«Und bevor ihr fragt», fuhr Jakobsen heiter fort, «er hat hier fast nur mit dem Apothekergesellen vom Opernhof gewürfelt, mit Drifting.» Ob die beiden darüber hinaus Freunde gewesen seien, wisse er nicht. «Aber am letzten Abend, ich meine, an dem Abend, den er nicht überlebt hat, da haben sie nicht gespielt, jedenfalls nicht hier. Auch wenn ich so was in der Stadt gehört habe, stimmt das einfach nicht.»
«Du lässt uns heute wirklich zappeln, Jakobsen», sagte Rosina. «Was war nun an dem letzten Abend? Montag, nicht wahr?»
«Richtig, Montagabend. Ich hab mich gewundert, weil der Drifting ’ne ganze Weile hier allein über einem Krug Bier gehockt und immer wieder zur Tür geguckt hat. Montags ist es ja immer ruhig, deshalb ist es mir nur aufgefallen. Wenn’s voll ist, hab ich Besseres zu tun, und wenn dann auch noch alle ihre Pfeifen paffen, sieht man sowieso wenig. Da fällt so einer erst auf, wenn er anfängt zu krakeelen. Hat er aber nicht gemacht. Überhaupt nie, der Drifting ist ein ganz Ruhiger.»
«Und Hofmann? War der ein Krakeeler?»
«Nee, Rosina», Servatius’ Miene wurde verächtlich, «dafür war der sich zu fein. Wo er doch jetzt Meister war. Und am Rödingsmarkt haben sie auch feine Kundschaft, da muss sich einer zu benehmen wissen.»
«Glaubst du?» Jakobsen war offensichtlich anderer Meinung, fügte aber rasch hinzu: «Klar, Knopfmacher, da hast du wohl recht.»
Was niemandem auffiel als Rosina. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt nachzuhaken, aber sie würde sich daran erinnern. So einfach kam Jakobsen ihr nicht davon. Leider litt sie an der unheilbaren Krankheit, alles genau wissen zu wollen. Ungeklärte Fragen, vage Behauptungen oder im Raum schwebende Andeutungen bereiteten ihr großes Unbehagen. Im ärgsten Fall folgte eine schlaflose Nacht, was wegen Jakobsen jedoch nicht nötig war. Er würde ihr antworten, wenn sie es nur richtig anstellte – zum Beispiel mit ihrer Frage wartete, bis nicht mehr alle da waren und zuhörten. Die Frage war nur, wer in diesem Fall mit «alle» gemeint war.
«Also beide keine Krakeeler», sagte sie. «Wie schön. Du wolltest gerade was anderes erzählen, Jakobsen. Hofmann war nicht hier in der Nacht, in der er starb. Nein, das hast du nicht gesagt. Du hast gesagt, sie haben nicht gespielt, Würfel oder Karten, das ist jetzt einerlei. War er denn überhaupt hier? Auf alle Fälle war er in der Nacht unterwegs, sonst hätte er kaum sein Ende im Fleet gefunden. Und wenn er betrunken war, wie es heißt, dann war er vorher wohl in einer Schenke.»
«Manche trinken zu Hause», gab Magnus mit sanftem Spott zu bedenken.
«Jedenfalls hat er am Montag nicht bei mir getrunken. Aber», Jakobsen schüttelte unbehaglich die Schultern, «er war kurz hier, das heißt, er hat die Tür aufgemacht und reingeglotzt. Ja, anders kann ich es nicht nennen: geglotzt. Da war er schon sturzbetrunken, um mal im Bild zu bleiben. Niemand wird bezweifeln, dass ich mich mit dem Suff in allen Varianten bestens auskenne. Er hat dagestanden, für einen Moment, dann hat er sich umgedreht und ist wieder gegangen. Ob man das gehen oder torkeln nennt, ist dabei Geschmackssache.» Jakobsen lehnte sich zurück, dann stützte er schwer die Ellbogen auf den Tisch und legte sein doppeltes Kinn in beide Hände. «Ich hätte
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