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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihn aufhalten müssen, denk ich seither. Später ist man immer klüger. Natürlich bin ich froh, wenn Betrunkene weggehen, ich muss die Kerle sonst vor die Tür setzen, wie es alle tun. Die kotzen nur die Gaststube voll und vertreiben die ordentlichen Gäste. Bisher ist jeder heil nach Hause gekommen, höchstens den Nachtwächtern in die Arme gelaufen und bis Sonnenaufgang in die Arreststube gewandert. Kann jedem mal passieren. Aber die Sache mit dem Fleet – das ist übel. Wirklich übel. Was hätte ich machen sollen? ’ne Sänfte rufen? Die gibt’s ja kaum noch, und der Hofmann hätte mir am nächsten Tag was erzählt. Außerdem hatte er es nicht weit bis nach Hause, und es war spät. Um die Zeit ist kaum noch ’ne Kutsche unterwegs, da kommt man so leicht nicht mehr unter die Räder.»
    Alle schwiegen und dachten daran, dass es einen nächsten Tag für Bruno Hofmann nicht gegeben hatte. Titus sah Jakobsen, den er wegen einiger gemeinsamer Erlebnisse als wahrhaft brüderlichen Freund empfand, in mitfühlender Melancholie an. «Unglück passiert», sagte er dann. «Alle Tage irgendwo. Ob du hinter einem herrennst oder es seinlässt. Wenn nicht an dem Abend, dann an einem anderen.»
    «Warum er wohl nicht hereingekommen ist?», überlegte Rosina. «Offenbar war er doch mit Drifting verabredet. Hast du ihn gefragt? Den Drifting, meine ich.»
    Jakobsen nickte. «Erst ein bisschen später, es war plötzlich doch viel zu tun. Ein paar Herren waren gekommen, sogar mit Damen, obwohl es so spät war. Die wollten alle zu trinken und zu essen, einem war das Tischtuch nicht rein genug, dem nächsten fehlte das Mundtuch, ihr wisst ja, wie das ist. Als alle versorgt waren, hockte Drifting immer noch da und starrte in sein Bier. Allerdings hatte er da ein neues, ja, ich seh’s wieder vor mir: einen vollen Krug. Er hatte es gerade überschwappen lassen, deshalb erinnere ich mich. Ich hab’s weggewischt und ihn gefragt, ob er etwa auf den Konditor warte, der sei doch vorhin kurz an der Tür gewesen und gleich wieder gegangen. Das hatte er nicht gemerkt, er saß an dem Tisch da drüben.»
    Jakobsen zeigte auf einen Winkel, von dem aus man zwar die Tür sehen konnte und wer eingetreten war, aber nicht, was direkt hinter ihr und auf der Straße passierte.
    «Hast du ihm gesagt, warum Hofmann gleich wieder verschwand?»
    «Mehr oder weniger, Rosina. Lass mich mal überlegen. Doch, ich glaube schon. Ich hab ihm gesagt, der Hofmann ist wohl schon in ’ner anderen Schenke gewesen, der hat kaum mehr gerade gehen können. Ja, das hab ich gesagt.»
    «Und? Was dann?»
    «Was ist los, Rosina? Was ist daran so wichtig? Denkst du, der Pillendreher ist mal eben kurz losgegangen und hat den Konditor ins Fleet befördert, weil der ihm ’n Pfennig zu viel abgenommen hat? Die hatten hier nie Krach.»
    «Was für eine Vorstellung!» Jean amüsierte sich prächtig. «Der war doch die ganz Zeit hier. Oder nicht, Jakobsen?»
    «Hm.» Jakobsen blickte ratlos. «Klar, war er hier. Aber – ehrlich gesagt: Beschwören darf ich das nicht. Warte mal.» Er rappelte sich auf, nahm seine Schankmagd beiseite und flüsterte mit ihr, Lineken schüttelte gleich den Kopf, sah neugierig zu den Gästen hinüber, die sie alle seit etlichen Jahren kannte, und schüttelte nochmal den Kopf, entschiedener.
    «Nee», sagte Jakobsen, als er wieder bei ihnen saß, «Lineken sagt, er war hier, aber sie hat nicht wirklich drauf geachtet. Warum auch? Sie hatte schwer zu tun, Ruth war an dem Tag nicht in unserer Küche, sie hat bei den Büschs gekocht, gleich hier in der Fuhlentwiete, ihr kennt den Professor ja. Da waren Gäste, und Madam Büsch hat es allein nicht geschafft, sie ist nicht wohl zurzeit. Egal, ganz klar hat der Drifting hier gesessen. Oder denkst du, der schleicht sich blitzschnell raus, schubst seinen Kumpel in den Schlick und sitzt fünf Minuten später wieder selenruhig hier auf der Bank und trinkt sein Bier? Mag sein, manche kriegen so was hin, sogar ohne dass man ihnen das Geringste anmerkt. Aber der Drifting? Der ist butterweich, der kann so was nicht. Denk ich mal», fügte er nach kurzem Zögern noch hinzu. «Wer kennt einen anderen schon genau.»
    «Außerdem», meldete sich Gesine zu Wort, was nicht oft vorkam und sofort aller Aufmerksamkeit auf sich zog, «wenn Jakobsen ihm das erst eine Weile nachdem der Hofmann schon wieder weg war, gesagt hat, dann war es doch sowieso zu spät, oder?»
    «Wahrscheinlich», befand auch Magnus, und Rosina

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