Die Nacht des Schierlings
versprochen. Es wird ihr in ihrem Kummer helfen, es lässt sie besser schlafen und gibt der Seele Frieden. Für geraume Zeit nur, das versteht sich, doch das kann schon ein Segen sein, findet Ihr nicht auch?» Er hielt das Kästchen mit beiden Händen ein wenig höher, und Molly musste an den Pastor denken, wenn er der Gemeinde Hostie und Kelch präsentierte. Dass sie bei diesem einem Sakrileg nahekommenden Gedanken errötend den Blick senkte, verstand Momme falsch. Er lächelte entzückt.
«Nur eine kleine Tinktur, Jungfer Molly, und ein bekömmlicher Tee. Wenn Ihr erlaubt, werde ich bald wiederkommen und auch für Euch – nun, nicht gerade ein Mittel, das den Schlaf fördert», er lächelte schalkhaft, «nein, besser etwas Anregendes, nicht wahr? Oder etwas Wohlduftendes? Wenn Ihr erlaubt. Vielleicht schon am Sonntag? Auch ein kleiner Spaziergang auf den Wällen würde Euch aufheitern, glaubt Ihr nicht?»
«Ach, Momme Drifting.» Molly lächelte über das Missverständnis. Er war ein artiger junger Mann, aber ohne Zweifel ein wenig schlicht im Denken, was – wie sie inzwischen gelernt hatte – durchaus von Vorteil sein konnte, besonders bei Männern. «Euer Angebot ist schmeichelhaft. Lasst mir ein wenig Zeit, wir sind in Trauer, es schickt sich jetzt noch nicht. Im Übrigen», fügte sie nun wieder ernst hinzu, «bestehe ich darauf, dass Ihr gut überlegt, bevor Ihr Euch mit mir zeigt. Unser Haus ist dieser Tage – ach, Ihr wisst es selbst.»
Momme machte gerade Schultern und ein eckiges Kinn. «Kleinmütige Leute können mich nicht schrecken», behauptete er forsch. «Ich werde nicht immer nur Geselle sein. Ich habe jetzt Verbindungen, und die Welt ist groß. Man muss nur mutig sein. Ein wenig mutig. Aber Ihr habt recht, dies ist ein Trauerhaus, verzeiht. Wenn ich nun die Meisterin sprechen dürfte. Ich möchte die Schachtel selbst übergeben und dazu genaue Instruktionen, damit ihr kein Irrtum unterläuft. Ihr versteht: Allein die Dosierung macht den Unterschied zwischen Arznei und Gift. Oh, nein, schaut nicht erschreckt, es besteht keine, absolut keine Gefahr.» Er beugte sich zu ihr vor und senkte die Stimme zum Flüstern. «Ich habe die Tinktur ganz leicht gemacht, wie immer für empfindsame Damen in traurigen Zeiten. Wir Apotheker geben Acht, wir wollen niemand in Versuchung führen, sich zu versündigen.»
Sie hätte ihn fortgeschickt, aber dann dachte sie, der Besuch eines freundlichen jungen Mannes mit einem solchen Geschenk könne ihrer Mutter nur guttun. Und keinesfalls durfte sie Tinktur und Tee in unbekömmlicher Dosis einnehmen. So bat sie ihn, eine Minute in der Diele zu warten, verscheuchte die neugierig an der Küchentür lauschende Elwa und eilte die Treppe hinauf.
Magda Hofmann saß in ihrem Sessel in der Wohnstube, die aufgeschlagene Bibel in den Händen, und starrte in die Dämmerung. Als Molly den Besuch ankündigte und bat, sie möge ihn doch empfangen, antwortete sie nicht gleich.
Es werde ihr guttun, insistierte Molly behutsam, sicher werde sie danach ruhiger schlafen. Sie brauche diesen Schlaf, sonst werde sie krank. Das möge sie selbst nicht stören, aber sie, Molly, könne den Gedanken nicht ertragen.
«Du bist ein gutes Kind», sagte Magda Hofmann, «ein Geschenk, das nur von Gott gekommen sein kann.»
Molly errötete. «Kommen nicht alle Kinder von Gott?»
«Doch, natürlich. Aber mir scheint, manche mehr und andere weniger. So bring ihn denn herein. Ich werde mich gerne mit ihm unterhalten. Ein wenig. Und lass uns allein. Wir werden über Bruno sprechen, das würde dich – anstrengen.»
«Aber, Mutter, ich …»
«Ich weiß, Molly, ich weiß. Bring ihn herauf, danach wird Elwa sich freuen, wenn du ihr noch ein wenig in der Küche hilfst.»
«Soll ich Wein bringen?»
Magda schüttelte den Kopf. «In der Vitrine steht die Karaffe mit dem Quittenlikör, ich hatte den Koriander vergessen, er ist trotzdem recht gut. Wenn der junge Drifting mag, kann er davon haben.»
Molly setzte sich mit dem Vorräte-Buch in die Küche. Die Backstube erschien ihr in dieser Nacht zu groß, zu verlassen und auf ganz eigene Weise unheimlich. Als schaue jemand, den sie nicht sehen konnte, durch eines der Fenster herein, sie wusste, dass das Unsinn war, aber in der Küche fühlte sie sich gleich besser. Sie schenkte sich von dem Wein ein, der in der stets kühlen Vorratskammer hinter der Küche in einem Fass lagerte, er machte sie nicht fröhlicher.
Während der letzten Tage hatte sie
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