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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den Gängen, die schon lebend niemand hatte haben wollen.
    Also sah sie sich dort um, wo das Mordopfer gelebt und gearbeitet hatte, einfach, weil sie gerade vorbeikam, und hörte zu. Es war eine der besseren Konfektbäckereien. Die Tür zur großen Backstube stand offen, darin arbeiteten drei Frauen und zwei, vielleicht auch drei Männer; sie konnte nur einen Teil des Raumes erkennen, sicher gab es im toten Winkel hinter der Tür mindestens einen weiteren Arbeitstisch. Alle waren emsig beschäftigt, es wurde geredet, aber nicht gescherzt oder herumgeschwatzt, es klang angenehm. Es gab einen großen gemauerten Backofen (womöglich an der anderen Wand einen zweiten kleineren), daneben an der Wand lehnten zwei hölzerne Schieber mit mannshohen Stielen, um die heißen Kuchen aus dem noch heißeren Ofen zu holen. In der darüber angebrachten Darre mochten nun Apfelscheiben oder Pomeranzenschalen, auch Quittenmus zu Quittenbrot trocknen – eben solcherart Zutaten und Leckereien.
    In einem großen, bis zur Decke reichenden Regal lagerten akkurat sortiert Gerätschaften, Kuchenformen aus Ton und aus innen mit Zinn beschichtetem Kupfer, Model für Marzipan, Zuckerwerk, Lebkuchen, Krokant und allerlei Kleingebäck. Auf einer Steingutplatte nahe dem Ofen trockneten kandierte, also stundenlang in dickflüssigem Zuckersirup geköchelte Früchte. Es gab eine Mehltruhe, eindeutig bestäubt, daneben Holztonnen und säuberlich aufgestapelte Körbe. An der Wand hingen Siebe, hölzerne Schäufelchen, auch große flache Schüsseln mit siebähnlichem Boden, in denen Zuckerkügelchen zu Dragees geschüttelt wurden. Alles sah nach guter Ordnung und Reinlichkeit aus.
    Der Meister dieser Backstube fehlte erst wenige Tage, aber es stimmte wohl, was sie gehört hatte: Bruno Hofmann sei ein tüchtiger Konfektbäcker gewesen, seine Stieftochter habe jedoch das beste Händchen für dieses Metier und sei mit dem alten Gesellen und ihrer Mutter, der verwitweten Meisterin, tüchtig und arbeitsam genug, die Konfektbäckerei zu führen. Jedenfalls bis ein neuer Meister das Zepter übernahm, was aber eine Weile dauern könne. Es sei dennoch nur eine Frage kurzer Zeit, bis die ersten Bewerber anklopften. Schon wurden Wetten darauf abgeschlossen, ob mehr um die Witwe oder um die rosige Jungfer anhalten wollten und welche der beiden Frauen die neue Meisterin sein werde.

    Konditorei im 18. Jahrhundert
    Das Paar hatte sich nun entschieden, auch für die teuerste Verpackung, eine Schachtel aus in Blautönen marmoriertem Papier, die das edle Konfekt zu einem exquisiten Geschenk machte. Die junge Frau hinter dem Ladentisch schloss die Schachtel und überreichte sie mit einem angedeuteten Knicks.
    «Klärchen!», rief eine Männerstimme aus der Backstube, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. «Mach Platz auf dem Tisch.»
    Die Verkäuferin warf Rosina einen entschuldigenden Blick zu, schob rasch die übrigen Kartons zur Seite, die sie gerade zur Auswahl gezeigt hatte, und schon schob sich ein stämmiger Mann in mittleren Jahren in der weißen Kuchenbäckertracht durch die Tür, ein Brett auf die Schulter gestützt. Er nickte Rosina, der nicht reich, aber auch nicht gerade ärmlich aussehenden Kundin, höflich zu und stellte seine Fracht behutsam auf den Tisch. «Neue Sorten», murmelte er, «du weißt schon.»
    «Danke, Ludwig.» Die Frau, die er Klärchen genannt hatte, schnupperte genüsslich. «Ja, ich weiß. Ingwer, Pfeffer, was noch?»
    «Stark gerösteter Kaffee. Der Rest», sein Blick streifte flüchtig die aufmerksam zuhörende Kundin vor dem Verkaufstisch, «du weißt schon.»
    «Ludwig, nicht wahr?», fragte Rosina ihn, «der Geselle. Jungfer Runge hat von Euch gesprochen. Mein Name ist Rosina Vinstedt. Bestellt Molly bitte einen Gruß von mir, sagt ihr, sie habe mein ganzes Mitgefühl in diesen schweren Tagen.»
    Ludwig sah sie prüfend an; wenn der Name ihm nichts sagte, versuchte er, ihn zuzuordnen. Das war in seinem Gesicht zu lesen.
    «Wir haben uns im Frühjahr kennengelernt», erklärte Rosina, «als sie bei den Herrmanns ausgeholfen hat. Ich bin eine Freundin der Familie, ich meine, mein Mann und ich sind …»
    «Freunde der Herrmanns?», fiel er ihr ruppig ins Wort. «Ich hör gut, das habe ich verstanden. Die Herrmanns! Na denn.»
    Er stapfte grußlos zurück in die Backstube und zog die Doppeltür geräuschvoll hinter sich zu.
    Rosina sah ihm verdutzt nach. Doch sie begriff gleich: Die in der Stadt herumgeisternde üble

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