Die Nacht des Schierlings
Ranken bestickte Gewand, der mit wehenden Federn und rosenfarbenen Schmetterlingen garnierte Hut vom gleichen seidigen Gewebe auf ihrer hoch aufgetürmtem Frisur verrieten eine gewisse Verwegenheit. Jedenfalls in Sachen Mode.
«Kein einziges Wort glaube ich», plapperte sie vergnügt weiter. «Lasst Euch nur nicht deprimieren. Das Leben», nun wandelte sich ihr Apfelbäckchengesicht zu einem Bild tiefer Bekümmertheit, «ach, das Leben ist unberechenbar, wer wüsste das besser als ich arme Witwe? Ist Euer Gatte denn wohl?»
«Danke der Nachfrage, Madam Schwarzbach. Monsieur Herrmanns ist ausgesprochen wohl.» Anne fühlte Elsbeths vorsichtigen Versuch, ihren Arm zu nehmen, und hörte sie etwas wie «Wir müssen nun wirklich weiter» murmeln, sie reagierte weder auf das eine noch auf das andere. «Warum sollte er nicht wohl sein?», fragte sie und spürte ihren Blick kämpferisch werden. «Die Familie ist gesund und glücklich, die Geschäfte gehen bestens. Sogar der Stadt, für die sein Herz immer besonders warm schlägt, geht es gut.»
«So ist es richtig, meine Liebe!» Madam Schwarzbach tätschelte vertraulich Annes Hand. «Ich wusste immer, Ihr seid eine tapfere Person. Wer schert sich schon um so dumme Gerüchte von der Art wie Euer Gatte habe mit dem Tod des Konfektbäckers zu schaffen, nur weil sein Rock einen Riss hat? Und weil er zufällig in just der Nacht in der Stadt unterwegs war? Ich bitte Euch! Und die Stieftochter, die kleine Molly Runge – nun, sie hat für Euren Gatten gearbeitet, in der Küche, Speisen können die reinsten Verführer sein», sie kicherte neckisch in ihr Doppelkinn, «und Ihr wart verreist. Zu Eurem kranken Bruder, nicht wahr? So ein Jammer. Man kann eben nicht überall sein. Im Übrigen ist Euer Gatte als Ehrenmann bekannt, wirklich jedem bestens bekannt. Das habe ich auch den lieben Damen Bator und Mohlenhoff gesagt. Und Madam Malthus, die kennt Ihr gewiss, zumindest ihren Sohn, unseren besten Großgärtner, ja, und ebenso unserem lieber Ascan. Monsieur Westmeyer aus der Großen Reichenstraße, Ihr kennt ihn auch? Sie sind alle ganz meiner Meinung.»
«Meine liebe Madam Schwarzbach», zwitscherte Anne nun entschlossen zurück, «was ist denn nun Eure Meinung? Wozu?»
«Bitte, Madam», flüsterte Elsbeth eindringlich, «bitte, lasst uns jetzt gehen.»
«Meine Meinung?» Madam Schwarzbach hob die Stimme, was nicht nötig gewesen wäre, weil sich ohnedies ein Kreis von Neugierigen um sie geschlossen hatte. Sie hob beschwichtigend ihre in blassrosa Zwirnhandschuhen steckenden Hände, dass der am rechten Arm baumelnde Pompadour nur so hüpfte. «Meine Meinung ist, liebe Madam, dass Euer Gatte so etwas nicht tun würde. Niemals. Einfach einem ehrbaren Mann das blühende Leben abschneiden, um es einmal poetisch auszudrücken. Nur weil der darüber empört war, dass seiner Stieftochter in Eurem Haus womöglich, nun ja, lasst es mich so sagen: Unrecht angetan worden ist. Ich sage mit Bedacht womöglich !, denn wie ich Euch versicherte, mag ich es nicht glauben. Niemand könnte das. Obwohl die Hinweise unübersehbar sind, das muss man leider sagen, wirklich unübersehbar.»
Anne Herrmanns hatte sich sehr gerade aufgerichtet, höher gewachsen als die meisten Frauen und auch ohne ein zu eng geschnürtes Korsett sehr schlank, stand sie inmitten der versammelten Menge und blickte auf Madam Schwarzbach hinunter wie auf ein unbekanntes, aber offenbar hochgiftiges Insekt, immer noch ein wenn auch eingefroren wirkendes Lächeln im Gesicht.
«Ich bin so froh», erklärte sie vernehmlich, damit es noch der letzte auf die Brücke drängende Börsenbote verstand, «dass Ihr wie stets klug genug seid, Unsinn als Unsinn zu erkennen, Verleumdung als Verleumdung. Und ich bin glücklich, wie einig wir uns darin sind, dass mein Mann sich niemals dazu herablassen würde, sich auch nur annähernd so zu verhalten, wie es der offenbar kursierende Klatsch verbreitet. Weder in der Küche, sei das Menue so verführerisch wie Aphrodite persönlich, noch des Nachts auf der Brücke über das Rödingsmarktfleet. Ich bin nur erstaunt, dass solcherart Gerede überhaupt entstehen kann, und sogar sehr erstaunt, dass Ihr es für wert befindet, es weiterzutragen. Mein Mann lebt wie vor ihm sein Vater, Großvater und Urgroßvater seit seiner Geburt in dieser Stadt, um die er sich mehr als die meisten verdient gemacht hat. Er hat niemals unehrenhaft gehandelt und gehört zu den angesehensten Männern. Ich bin wirklich
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