Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
froh, wie einig wir uns darin sind, liebe Madam», sie lächelte süßer als Karamell, «einig, dass man solchen ehrverletzenden Lügen entschieden entgegentreten muss. Ich bin sicher, Ihr gehört zu denen, die genau das tun. Nun wünsche ich Euch einen guten Tag, mich ruft die Pflicht.»
    Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und schritt ein wenig atemlos, doch energisch durch die Menge, die zurückwich, als gehe es um die Flucht vor den Ägyptern durch das Rote Meer. Elsbeth eilte ihr nach, so rasch es die beiden schweren Körbe zuließen, und bewunderte ihre Herrin für die Grandezza, mit der sie nach diesem Auftritt mit knappem, gleichwohl hoheitsvollem Nicken nach links und rechts grüßte, als sei sie heiterster Stimmung. Wäre sie neben ihr gegangen, ihr gar entgegengekommen, hätte sie an Anne Herrmanns’ Blick und der Blässe ihres Gesichts erkennen können, welche Kraft und Beherrschung sie diese Pose kostete.
     
    S icher war es nur ein Zufall, wenn Rosina die größte Lust auf Konfekt von Marzipan, kandierten Walnüssen und Rumrosinen, vielleicht auch ein wenig Krokant spürte, während sie mit der Görttwiete den direkten Durchgang zum Rödingsmarkt passierte. Diesmal hing kein Schild in der Tür, also drückte sie die Klinke hinunter und betrat den Laden. Es roch betörend nach einer Mischung von Zitronen, Karamell, frischgerösteten Kaffeebohnen und noch einigem, was sie in der Melange der Düfte nicht erkennen konnte. Anis vielleicht. Oder Zimt? Sicher beides. Und Nelkenpfeffer? Womöglich auch Rosenwasser.
    Rosina war keine anspruchsvolle Person, eine Fahrende hatte nie genug Geld, um nicht jeden Pfennig umzudrehen, doch nun wünschte sie sich, eine große Schachtel Konfekt kaufen zu können. Sie würde sich entscheiden müssen. Ein junges Paar stand vor dem Verkaufstisch und beugte sich zu den Platten mit den Pralinés und kleinen Kuchen vor, sehr einträchtig und an nichts anderem interessiert. Eine kaum ältere Frau im blassblauen Kleid mit großer weißer Schürze, auf dem Kopf eine ihr rotblondes Haar fast gänzlich bedeckende Haube aus weißem Leinen, stand hinter dem Tisch und erläuterte geduldig und mit Stolz die verschiedenen Sorten.
    Das gab Rosina ein paar Minuten Muße, sich umzusehen. Und umzuhören. Ohne besonderen Grund – sie stellte fest, dass es ihr offenbar zur zweiten Natur geworden war, wachsam Augen und Ohren offen zu halten, wenn es darum ging, nach der Ursache für ein Verbrechen zu gründeln. Wie gut, dass sie von vielen der Untaten in dieser Stadt, besonders von Morden und anderen Gewalttaten, nicht mehr erfuhr als die übrigen Bewohner. Manchen mochte es anders erscheinen, aber tatsächlich löste Wagner die meisten seiner Fälle allein und mit seinen Weddeknechten.
    Wenn sie sich einmischte, gab es dazu meistens einen Grund, etwas, das sie und ihr Leben berührte. Und sei es, dass sie wie im Frühjahr die Tote selbst entdeckte. Oder – auch das war vorgekommen – wenn Wagner eine Art Spionin in solchen Häusern oder Ecken der Stadt brauchte, zu denen er nur schwer Zugang fand, nämlich besonders vornehme oder besonders ärmliche und jeder Amtsperson strikt misstrauende. Leider konnte sie nicht wieder loslassen, wenn sie einmal angefangen hatte, sich darum zu kümmern, sich Gedanken zu machen, auch wenn Wagner genau das hin und wieder viel lieber gewesen wäre.
    Mit dem Fall des toten Konfektbäckers verband sie mehr als das köstliche Konfekt, von dem sie seit dem letzten Jahr in seinem Laden gekauft hatte. Nicht nur dass sie Molly Runge im Frühjahr bei den Herrmanns kennengelernt hatte – Madam Augusta hatte sich von ihr begleiten lassen, als Rosina sie und die Domina des Johannisklosters zu dem weit vor den Toren liegenden idyllischen Gasthausgarten bei der Eppendorfer Johanniskirche kutschiert hatte.
    Natürlich war sie wie immer neugierig, aber der einzige echte Anlass war Muto. Muto war verdächtig, das stand für sie fest, Titus’ Alibi war nicht mehr wert als ein taubes Ei, und Muto würde als fahrender Akrobat und Komödiant jeden Tag, an dem Wagner den wahren Täter nicht fand, noch verdächtiger werden. Wenn es ganz schlimm kam, würde er, ob er es getan hatte oder nicht, zum Täter gemacht. Ein Meister war ermordet worden, ein Mitglied der angesehenen Ämter; blieb der Täter unentdeckt, konnte das nicht unter den Tisch gekehrt werden wie bei einem nach Branntwein, Urin und Erbrochenem stinkenden fremden Seemann oder einer halbverhungerten Alten aus

Weitere Kostenlose Bücher