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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Verbindungen spezieller Art zwischen Claes Herrmanns, Molly Runge und ihr selbst konfrontiert sah, begegnete das Gerücht Anne Herrmanns auf andere Weise, nämlich in einer mit Freundlichkeit und Mitgefühl maskierten Perfidie, die besonders wütend und hilflos macht.
     
    Der Gang über den Markt hatte sie aufgeheitert, die Arbeit der Hausfrau, nämlich das Erkennen guter Qualität, das Entscheiden über die Einkäufe hatte wie stets Elsbeth erledigt. Anne war sich ein bisschen überflüssig vorgekommen, und tatsächlich war auch Elsbeth nicht nur begeistert von der Begleitung der Dame des Hauses. Mit Madam Herrmanns, die sie sonst überaus schätzte, würde dieser Weg doppelt so lange dauern wie sonst, sie würde bei den Kaninchen stehen bleiben und ihr baldiges Ende am Bratspieß oder in einem großen Topf bedauern, bei den Gartenbauern verharrte sie sowieso, sie würde hier ein paar Worte wechseln, dort Bekannte oder eine Freundin begrüßen. Nur weil es so verlockend in der Sonne lag, würde sie Appetit auf etwas bekommen, das die Köchin für den Speiseplan der nächsten Tage nicht vorgesehen hatte.
    Zum Glück war Anne Herrmanns keine starke Esserin, an diesem Tag hatte sie sich kaum in die Einkäufe eingemischt, nur gewünscht, die vier Wildtäubchen durch zwei Rebhühner zu ergänzen. Sie war überhaupt schweigsam gewesen, ein wenig bedrückt sogar, anders als bei ähnlichen Gelegenheiten war auch niemand zu einer kleinen Plauderei stehen geblieben, die Menschen aus den besseren Häusern hatten es heute wohl alle eilig. Elsbeth hatte begriffen, warum Madam nicht wie so häufig zu ihrem Garten am Westufer der Außenalster hinauskutschiert war, wo sie jetzt nur den Gärtner und seinen Burschen treffen würde. Sie wollte lieber in den städtischen Trubel eintauchen, in Begleitung sein, wie es sich für eine Dame aus bestem Haus gehörte. Und gerade für den Markt war die Begleitung der Köchin besonders passend.
    Das Gespräch des Tages ereilte sie auf der Reimersbrücke. Auch hier herrschte noch Gedränge, nicht nur wegen der selbst auf dem Fleetübergang lautstark ihre Ware anpreisenden Straßenhändler. Bei den unten im alten Alsterlauf liegenden, mit spätem Gemüse und Obst beladenen Schuten und Ewern wurde ebenso emsig gehandelt wie auf dem Marktplatz und in den Gassen. Das war im milden Herbstlicht ein hübscher Anblick, dem man gern eine Weile zusah.
    Auch Anne Herrmanns blieb stehen und zeigte mit plötzlicher Lebhaftigkeit hinunter. «Schau mal, Elsbeth, diese prachtvollen Kürbisse. Sie sehen furchtbar schwer aus, und unsere Körbe sind sowieso voll. Was denkst du, sollen wir Benni herschicken, damit er ein oder zwei von den größeren für unsere Vorräte kauft? Am besten mit der Handkarre, dann kann er auch drei holen.»
    «Wunderbar, Madam Herrmanns! Kürbisse! Immer eine gute Wahl.» Die durchdringend zwitschernde Stimme ließ Elsbeth den Kopf einziehen, und Anne Herrmanns entschlüpfte ein verhaltener Seufzer. «So überaus bekömmlich», zwitscherte es schon weiter, «besonders als passierte Suppe mit süßer Milch. Ein Fetzchen Ingwerwurzel dazu ist auch delikat. Das hat schon mein seliger erster Mann gesagt, in jedem Spätsommer, den unser lieber Herrgott werden ließ. Kürbisse versprechen langes Leben, so hat mein guter Marburger immer gesagt, leider war es ihm trotzdem nicht beschieden. Und Ihr solltet gut auf Euch achten, liebe Madam, das solltet Ihr, gerade dieser Tage braucht Ihr Kraft und Nervenstärkung, der Herbst kann tückisch sein, nicht wahr? Und nun, wo Ihr so viele Sorgen habt. Ich glaube natürlich kein Wort von dem dummen Geschwätz. Kein Wort!»
    Schon zu gewöhnlichen Zeiten bemühte sich Anne, Madam Schwarzbach unauffällig zu entkommen, sobald sie auftauchte. Heute hatte sie keine Chance gehabt.
    Madam Schwarzbach hielt sich viel auf ihre hanseatische Familie zugute, leider erschien sie selbst wenig hanseatisch, was sie allerdings jederzeit vehement bestritten hätte. Sie war leidenschaftlich gern indiskret und sprach mit einer für ihre kleine, wenn auch inzwischen kugelrunde Gestalt mit erstaunlicher Lautstärke. Seit kein schmallippiger Ehemann mehr ihrer Lust zu bunter Üppigkeit Einhalt gebot, putzte sie sich selbst, ihre Dienstboten und ihre Pferde auf geradezu französisch unübersehbare Art heraus.
    Heute promenierte sie ausnahmsweise zu Fuß, einen Lakaien und ihre Köchin im Gefolge. Das strahlend violette, mit gelben und weißen Blüten, grünen Blättchen und

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