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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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abzuhalten. Sofort fand er in dem engen Raum andere Schriftstücke, von denen er mit Sicherheit wusste, dass sie nicht in den Büchern des Archivs verzeichnet waren. Am liebsten hätte er sofort alles eingepackt und mitgenommen. Aber sie hatten jetzt keine Zeit. Sie würden später wieder zurückkommen und die Schriftstücke mitnehmen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
    Jetzt mussten sie den Spuren von Elaines Träumen folgen.
    Nur widerwillig folgte Rosner den jungen Leuten. Die Feuchtigkeit begann seinen alten Körper zu durchdringen und seine Knochen anzugreifen. Außerdem fing er an, an seinem Verstand zu zweifeln. Was hatte ihn nur dazu gebracht, sich an einem Einbruch in ein öffentliches Gebäude zu beteiligen um den neurotischen Träumen eines jungen Mädchens zu folgen? Wusste er nicht genau, dass all die Mythen und Märchen mit denen er sich in seinem langen Professorenleben auseinandergesetzt hatte, nur symbolischer Ausdruck des Unbewussten waren? Verdrängte Ängste und Wünsche, die sich in teils unheimlichen Bildern Ausdruck zu verschaffen wussten? Nein, das wusste er eben nicht genau. Und die Schriftrollen die er mit eigenen Augen gelesen hatte, hatten seine Zweifel an all den Theorien, die ihre Unternehmung in den Bereich des Lächerlichen, des Pathologischen rückten, wieder geweckt. War es nicht genau das gewesen, was ihn zeitlebens zu den Büchern getrieben hatte? Herauszufinden, was die Mythen WIRKLICH bedeuteten?
    Nun, hier war seine Gelegenheit.
    Entweder er beging gerade den Fehler seines Lebens, oder er war einem der größten Geheimnisse der Menschheit auf der Spur, der Frage, ob es das Böse wirklich gab.
    Wenn sie nicht schafften zu verhindern, was aller Logik nach bereits vor vierhundert Jahren ein Ende hätte finden müssen, dann würde dieses Monstrum, von dem er gelesen hatte, das Tor zur Hölle öffnen und das letzte Gericht heraufbeschwören. Es würde mit der Frau aus Elaines Träumen ein Wesen zeugen, neben dem sich der Antichrist wie das Holzkasperle aus seiner Kindheit ausmachte.
    Also mussten sie die Frau finden, bevor Ta-Urt oder der Unbekannte Gott oder wie immer man das Ding nennen wollte, das Eingang in die Mythen der Menschen gefunden hatte, sie erreichen konnte.
    Es war vollkommen irre, aber es war die einzige Möglichkeit.
    Der Professor war so in seine Gedanken vertieft, dass er den Nebel kaum bemerkte, der um seine Füße spielte.

 
    ***

 
    Erst, als der Nebel ihnen bis zu den Knien reichte, wurde Ruth Leuberich nervös.
    Eckhardt folgend bewegte sich die Gruppe, mit Taschenlampen ausgerüstet, seit einer halben Stunde durch enge Gänge, die immer wieder in Hallen mündeten, von denen es immer wieder in weitere enge Gänge ging. Seit sie am Archiv angekommen waren, wurde ihre Gruppe verstärkt durch den knochigen Archivar, Eckhardts Laufburschen. Die anderen aus der Gruppe mochten ihn nicht. Er war nicht mehr als ein Kretin, der machte, was man ihm sagte, sie verstanden nicht, warum Eckhardt ihn zum innersten Kreis zählte. Er besaß nicht ihre intellektuelle Klasse. Aber immerhin hatte er ihnen den Hintereingang geöffnet. Seitdem hielt er sich immer dicht bei Eckhardt, wie ein verängstigter, aber treuer Hund.
    Und Eckhardt schien den Weg wie im Schlaf zu kennen. Er zögerte nicht, wenn eine neue Abzweigung kam. Nur ein einziges Mal blieb er kurz stehen, um die Tür zu einem kleinen, niedrigen Raum mit dicken Eisenringen an den Wänden zu öffnen und mit einem seltsamen Lächeln hineinzusehen.
    Dann ging er zielstrebig weiter, den leicht abfallenden Gang hinunter.
    Die Apothekerin verfluchte, dass sie einen langen Rock angezogen hatte. Der Nebel umspielte ihre nackten Beine, unangenehm wie ein obszönes, feuchtes Streicheln. Sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen, aber es war nicht das erst Mal, dass sie zutiefst bereute, sich Eckhardt angeschlossen zu haben. Eine Sekte zu betreiben und junge Mädchen in Abhängigkeit von sich zu bringen war das eine, einen Mord in Kauf zu nehmen und jetzt durch diese engen, grauenhaft feuchten und stinkenden Gänge schleichen zu müssen, war das andere.
    Aber sie hatte sich nicht getraut, Eckhardt zu widersprechen, als er sie zusammenrief um ihnen das nahe Ende ihrer Bemühungen mitzuteilen. Das Ende und die Unsterblichkeit.
    Sie wagte nicht darüber nachzudenken, welche Art Unsterblichkeit Eckhardt gemeint hatte.

 
    ***

 
    Der Nebel reichte Wessel bereits bis zu den Schultern. Wie ein Mann, der

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