Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
untergegangen war, sich jetzt aber als der Mittelpunkt des Ganzen zeigte.
Auf dem Thron hockte die Göttin.
Ihr Gesicht spiegelte wie in einem Kaleidoskop alle Emotionen zu denen Menschen fähig waren, wieder. Güte, Zorn, Sanftmut, Hass, Liebe, Wut, Gleichgültigkeit.
Sie war die Göttin für das Runde, das Ein und Alles, die Herrin der Gegensätze.
Sie kam direkt auf die Gruppe zu.
Ihre Augen richteten sich auf die Männer. Eric spürte, wie sich seine Blase entleerte. Es war nicht Angst, die ihn das tun ließ, er hatte alle Angst bereits verbraucht, es war grenzenloses Erstaunen weil er den Blick der Göttin auf sich ruhen fühlte. Unendlich sanft und zugleich mit schärfster Strenge fühlte er sich gewogen und geschätzt, beurteilt und gerichtet und, zu guter Letzt, für gut genug befunden.
Dann richteten sich die Augen der Göttin auf das Monstrum.
Die Musik brach ab.
In die Stille hinein platzte erneut das Gebrüll des Monstrums. Erst jetzt wurde den Männern klar, wie harmonisch und ausgewogen die Musik des Zuges gegen dieses Gebrüll gewesen war. Hatte der Zug alle Intentionen der Individuen, die verschiedenen Schicksale der Toten aus Jahrtausenden zu einer einzigen, allesumfassenden Musik zu bündeln vermocht, so klang das Gebrüll dieses einen Willens, dieses einen Golems, wie eine Kakophonie aus nicht zu vereinbarenden Strebungen, einsamen und für immer getrennten Teilen eines einzigen zersplitterten, bösen Willens.
In ohnmächtiger Wut brüllte das Monstrum gegen die gleichgültige Göttin.
Der Kern des Zuges begann, sich auf das Monstrum zuzubewegen.
Um die Göttin herum scharrten sich all die Toten, die unschuldige Opfer Mastema , Eckhardts oder des Pan geworden waren. Sie alle schoben sich, unaufhaltsam und von den Versuchen des Monstrums sich zu wehren, unberührt, auf es zu und überschwemmten es mit ihren Leibern. Wessel sah, dass seine toten Brüder, Albions und Noiren , unter ihnen waren. Zurückgekehrt in den Zug der Göttin schlugen sie hier ihre letzte Schlacht. Und von den Freunden unerkannt waren auch Marion und Kathrin unter ihnen.
Sie überschwemmten das Monstrum mit ihren toten Körpern, und mit unzähligen Hände griffen sie nach ihm und rissen einzelne Käfer aus seinem Panzer.
Jeder nur einen, seinen Seelenkäfer.
Das Monstrum schlug um sich, brüllte und stampfte mit den Füßen in den Haufen flüchtender Insekten. Aber seine Sensen hatten keine Wirkung mehr. Die blitzenden Schwerter konnten niemanden mehr aufhalten.
Diese Menschen waren bereits tot.
Sie fürchteten nichts mehr. Ihre Hände duldeten keine Gegenwehr, keinen Widerspruch. Langsam zogen sie das Monstrum zu Boden, langsam verlor es an Substanz, zerfiel unter der Masse fordernder Hände, verschwand und wurde von dem Zug mitgenommen.
Die Musik setzte wieder ein.
***
Der Zug verschwand hinter ihnen in der Ferne.
Nur noch Fetzen von Musik wehten leise zu ihnen herüber als der Professor feststellte, dass Wessel verschwunden war.
Der Zug hatte ihn mitgenommen.
Seine Zeit war schon lange abgelaufen und Eric und der Professor waren sich sicher, dass er freiwillig mitgegangen war.
Sie wandten ihre Blicke wieder in die Richtung aus der der Zug gekommen war und sahen, dass Elaine auf sie zu kam .
Sie war wieder da.
***
Elaine blieb für einen Moment stehen und sah ihren Freunden entgegen. Sie wusste nicht, was mit ihr geschehen war, nachdem sie Carda berührt hatte, aber sie ahnte, dass die Göttin erst hatte erscheinen können, als die Ordnung der Zeit, die die Ordnung des Lebens ist, durch die Berührung wieder hergestellt worden war. Sie hatte erst erscheinen können, nachdem der Pan und Eckhardt und sie und Carda sich für einen Moment vereinigt hatten.
Sie ahnte, dass selbst das Spiel Eckhardts, der überhebliche Versuch, durch die Erweckung des Monstrums das Ende der Zeit herbeizuführen, in den Plan der Göttin passte.
Ordnung und Chaos waren nur zwei Seiten ein und derselben Welt und jedes Ende war der Anfang etwas Anderen.
Und als Elaine dies dachte, fühlte sie mit aller Intensität für einen Moment lang ein perfektes, totales Gleichgewicht zwischen Dunkelheit und Licht, zwischen Innen und Außen, zwischen Gut und Böse in sich. Sie spürte, dass sie am Ende ihrer Suche angekommen war, dass sie jetzt ihre Vergangenheit kannte bis in Winkel hinein, die selten ein Mensch erreichte und dass sie ihre Geschichte akzeptieren konnte, dass sie akzeptieren konnte, wie sie geworden
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