Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
schließlich erstanden hatte, hatte er noch nirgends etwas lesen können, und wenn er zu sich selber ehrlich war, hatte er sie auch nur deswegen gekauft. Der geheimnisvolle Glanz der kleinen Flaschen hatte ihn gereizt, und die Aussicht, vielleicht etwas ganz neues zu entdecken, hatte den Ausschlag gegeben. Er war ein Anfänger der Alchimie, und er wusste genau, dass nur jahrelanges Suchen zu neuen Ergebnissen führte. Aber die Neugier war stärker gewesen.
Wahrscheinlich verriet diese neue Substanz ihre besondere Wirkung erst, wenn sie jemandem verabreicht würde, überlegte er.
Und plötzlich kam ihm eine Idee. Hatte er nicht eben Hunde bellen hören? Er könnte doch seine Tinktur an einem dieser Köter ausprobieren, war sie tödlich, nun gut, niemand würde das Tier vermissen, war sie es aber nicht, so konnte er selbst etwas nehmen. Was dem Tier nicht schadete, konnte ihm auch wenig anhaben.
Er beschloß , sofort ans Werk zu gehen.
Aus der Räucherkammer nahm er einen ordentlichen Batzen Fleisch, dann verdünnte er einige Tropfen seiner neu gewonnenen Tinktur mit Wasser und strich die Lösung mit einem Spatel auf das Fleisch, dann warf er sich einen groben Umhang über, verstaute das Fleisch welches er noch in ein Tuch eingewickelt hatte, in seiner Leinentasche, steckte sich ein Messer in den Gürtel und stapfte hinaus in den Januarschnee.
Jetzt musste er nur noch den Hund zu fassen bekommen.
Draußen lauschte er nach links und rechts. Nichts war zu hören, der Schnee schluckte alle Geräusche die sonst vom Marktplatz herüber wehten. Die scharfe, klare Luft tat ihm gut nach seiner verqualmten Stube, Tatendrang stieg in ihm hoch. Er wandte sich nach links und ging in Richtung Markt. So ein Köter würde sicher früher oder später versuchen, Reste von den Marktständen zu ergattern, auch wenn er eine satte Tracht Prügel einzustecken riskierte. Hunger läßt übertriebene Vorsicht schnell zu einem lebensbedrohenden Hemmnis werden, das galt für Mensch und Tier gleichermaßen.
Die Straßen waren nicht gepflastert, das gab es nur in den großen Städten, und in einigen Wochen, wenn es taute, würde alles in Schlamm schwimmen, aber jetzt gab die Schneedecke ihm festen Tritt.
Munter werdend stapfte er Richtung Markt, pfiff sogar etwas vor sich hin.
***
Er erreichte den Marktplatz. Buntes Volk mischte sich hier trotz der Kälte an den Ständen, um Fleisch für die leerer werdenden Vorratskammern und Kleidung gegen den langen Winter zu erstehen. Der gesamte Platz war übersät mit Buden und provisorischen Zelten, dazwischen Kisten aneinandergereiht, in denen hauptsächlich Rüben, Hirse und Hafer aus den Wintervorräten der Bauern angeboten wurden. Die Stände der Gewandschneider, Weber und Walker, Tuchscherer und Färber zeugten vom aufstrebenden Handel in der Stadt. Da gab es alles, was das eitle Herz begehrte, leichtes Zeug von feiner Wolle aus Brügge, Scharlachprodukte aus Gent und feine Laken aus Ypern .
Wessel schlenderte durch die Menge und genoß das Geplapper der Frauen, das Gejuchze der Kinder, die um ein Stück Wurst bettelten und das Schimpfen der Männer, die die viel zu hohen Preise beklagten. Er kam zu selten aus seinem Haus heraus und unter Menschen.
Für eine Weile vergaß er, warum er hergekommen war und ließ sich treiben.
Dann sah er einen streunenden Hund am Rande des Platzes vorsichtig auf eine Gelegenheit lauern, etwas Eßbares zu ergattern. Wessel ging auf das Tier zu. Es war von mittlerer Größe, dürr, hatte ein dunkles, glattes Fell und einen schuppigen Ausschlag auf der Schnauze. Als er einige Schritte an das Tier herangekommen war, bemerkte es ihn, erhob sich aus seiner kauernden Position und trabte weg. Aber in einiger Entfernung lagerte es sich wieder in den harten, von unzähligen Füßen zertrampelten Schnee.
Wessel näherte sich ihm erneut und das Spiel wiederholte sich.
Der Hund stand auf und trabte um einiges weiter um sich dann wieder hinzulegen. Wessel nahm das Tuch mit dem Fleisch aus der Tasche und hielt es, leicht gebückt vorwärtsgehend, vor sich hin, als er plötzlich den mißtrauischen Blick eines Bauern erntete, der das Treiben hinter seinem Stand mit Mißfallen bemerkt hatte. Sofort wurde ihm klar, dass er nur Verdacht erregen konnte wenn man gewahr wurde, dass er hier herumstrich und streunende Hunde mit wertvollem Fleisch fütterte. Womöglich würde man, aufmerksam auf sein ungebührliches Verhalten geworden, das Fleisch untersuchen und ihn
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