Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
befragen, was es mit dem seltsamen Anstrich auf sich habe.
Wessel erhob sich wieder aus der Hocke, streckte sich wie ein müde gewordener Mann und steckte nebenbei das Tuch mit dem Fleisch in die Tasche zurück. Dann wandte er sich auf dem Absatz um und ging weg von dem Hund.
Er musste warten, sich in Geduld üben bis der Markt vorbei war und dem Hund folgen bis er ihn allein erwischen konnte. Er war sich sicher, dass das Tier den Platz nicht verlassen würde, bis der letzte Stand mit Fleisch nicht abgebaut war.
Während er nun wartend zwischen den Ständen umherstrich, erinnerte er sich, wie er einmal, ähnlich enttäuscht durch seine fruchtlosen Forschungen wie heute und um Luft in seine Gedanken zu bringen und der erdrückenden Enge seiner Studierstube zu entrinnen, die Stadt verlassen hatte um über das Land zu streifen. All seine alchimistischen Künste führten zu nichts. Tage- und wochenlang konnte er die Metalle trennen und neu zusammenfügen, er konnte härtere und weichere Verbindungen schaffen, Flüssiges verfestigen und Festes flüssig machen. Vielleicht, so dachte er damals, würde es ihm sogar gelingen, ganz wie er es am Anfang so gewollt hatte, Gold zu machen. Dann hätte er reich und berühmt werden können und Fürsten und Könige hätten sich von ihm einen Nasenring anlegen und an ihm herumführen lassen. Aber je mehr er sich mit Alchimie beschäftigt hatte, desto weniger reizte ihn diese Vorstellung wirklich. Führte das Gold die Menschen nicht ins Verderben, machte es sie nicht in Wirklicht blind für die Schönheit Gottes und ließ es sie nicht alles verachten, was nicht in Gold gewogen werden konnte? Warum aber durchfuhr die Menschen dann doch eine Ahnung der Herrlichkeit Gottes, wenn sie des Goldes ansichtig wurden und warum waren sie andererseits so schnell bereit, für Gold all diese Herrlichkeit aufzugeben? Lag die Herrlichkeit selbst im Gold oder war dies nur eine Täuschung? Irrten sich vielleicht die Alten, wenn sie dem Suchenden empfahlen, die Alchimie zu studieren um etwas über die Unsterblichkeit der Seele zu erfahren?
So war er damals, von Zweifeln getrieben, aus der Stadt hinaus und über die Felder des Umlandes gezogen. Dunkle Wolken waren währenddessen, unbemerkt von dem sinnenden Mann, über ihm zusammengezogen. Als es dann begonnen hatte zu regnen, hatte er endlich nach oben geblickt. Erst waren nur kleinere Schauer dünner Fäden über das Feld gezogen, dann fielen immer dickere Tropfen auf die Erde. Wessel hatte seinen Umhang enger um die Schultern geschnürt. Tropfen klatschten auf seinen Kopf, Wasser rann ihm bald in Kragen und Stiefel. Eine Wand von Regen verdunkelte den Nachmittag zur Nacht. Er stapfte über das matschige Feld, schwere, nasse Erde hing an seinen Füßen und machte das Gehen immer schwieriger.
Dann war der Sturzbach plötzlich abgebrochen.
Wessel hatte nach oben geblickt. Etwa dreißig Fuß über ihm, mitten in der Luft, unterbrachen die Tropfen wie von Zauberhand ihren Fall. Sie blieben einfach dort oben hängen und liefen zu Rinnsalen und Bächen zusammen und bildeten langsam eine immer dicker werdende Eisdecke über seinem Kopf. Wessel hatte nach oben gestarrt. Er konnte nicht glauben, was er sah. Von Horizont zu Horizont schien es, als habe der Himmel sein Dach tiefer auf die Erde gesenkt und mit Glas überzogen. Deutlich hatte er erkennen können, wie der Regen nun auf die immer dicker werdende Eisdecke über ihm fiel. Durch das Eis hindurch sah er, dass sich die Regenwolken nun langsam zurückzogen und eine fahle Sonne zum Vorschein kommen ließen.
Und plötzlich war die Luft von einem entsetzlich lautem Knirschen erfüllt gewesen. Wessel hatte sich die Ohren zugehalten und das Knirschen wurde zu einem Ächzen und Kreischen in seinem Kopf. Risse jagten durch die eben noch makellose Eisfläche über ihm. Wie Schlangen im Gras schossen sie nach allen Seiten durch das Eis und verwandelten es in einen Teppich aus funkelnden Diamanten, die die Sonne tausendfach spiegelten. Unter einem ungeheuren Gewicht drohte die Eisdecke zu brechen.
Und dann hatte sich das Heer der Horla über ihm gezeigt.
Angeführt wurde die Schar von den Gehängten und Geköpften, den gemordeten Übeltätern, die den Fängen der Gerichtsbarkeit erlegen waren. Die Gehängten schwangen die Enden der Seile an denen sie gehangen hatten zu einem sirrenden Konzert und die Geköpften schlugen mit ihren Schädeln die Trommeln dazu. Ihnen folgten die in der Schlacht Gefallenen.
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