Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
rauchte nervös eine dünne Zigarre.
Niemand sah in ihre Richtung.
Vorsichtig schlich sich Marion zu den Kisten hin und hockte sich hinter sie. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Nie hätte sie gedacht, dass all die schlechten Erfahrungen ihr irgendwann einmal etwas nützen würden, aber in diesem Moment wusste sie, dass sie das hier nie getan hätte, wäre sie nicht im tiefsten Innern davon überzeugt gewesen, dass sie das Schlimmste im Leben schon hinter sich hatte.
Kaum war sie hinter den Kisten verschwunden, begann sich Unruhe in der Gruppe breitzumachen. Marion brauchte einen Moment, um nicht in Panik aus ihrem Versteck zu stürzen, aber offensichtlich erwartete die Runde ungeduldig den Beginn von irgend etwas .
"Wann geht es denn endlich los?" schnarrte der Grieche.
Noch bevor jemand antworten konnte, kam Eckhardt die Treppe hinunter.
"Jetzt", sagte er, "jetzt kann es los gehen, meine Damen und Herren."
***
Wenn das hier eine Art Schwarze Messe sein sollte, dachte Marion, dann hatte sie sich das aber anders vorgestellt. Keine Kapuzen, keine Heavy-Metall-Musik, keine Kerzen, keine Gesänge. Alle hatten Straßenkleidung an, nur Eckhardt hatte sich ausgezogen und stand nun nackt in der Mitte des Raumes. Das helle Licht leuchtete seinen hageren Körper gut aus, keine Falte, keine Unebenheit der Haut blieb verborgen. Die glatten blonden Haare fielen ihm auf die nackten Schultern.
Die anderen standen um ihn herum.
Die Apothekerin nahm das flache Paket, das sie unter ihrem Arm getragen hatte, und holte eine längliche Schale mit ägyptischen Zeichen darauf heraus. Marion erkannte die schablonenhaften Darstellungen von Vögeln, Hunden und Käfern. Die Schale war mit einer Zelophanfolie abgedeckt. Ruth Leuberich entfernte die Folie und stellte die Schale, der ein beißender Geruch entströmte, auf den Boden.
Marion kämpfte in ihrer Ecke gegen eine Ohnmacht. Der Gestank der Salbe ätzte sich in ihre Nasenlöcher und hinterließ einen unbeschreiblich schalen Geschmack in ihrem Mund. Es schmeckte, wie der Staub in einem seit Jahrhunderten verlassenen Haus schmecken musste. Ihr wurde schummerig, und sie hatte plötzlich undeutliche Bilder von braunen, mit aufplatzenden Geschwüren bedeckten Armen vor Augen, die sich nach ihr streckten. Sie begann, ganz leise vor sich hin zu jammern.
Wo war sie hier nur hineingeraten?
Aber es war zu spät zu verschwinden. Wie gebannt sah sie dem Treiben vor sich zu.
Jetzt griffen alle Anwesenden nacheinander in die Schale und entnahmen ihr mit beiden Händen eine dickflüssige Substanz. Die Substanz tropfte auf den Boden und hinterließ häßliche grüne Spuren, bevor sie in der Erde versickerte. Eckhardt verdrehte die Augen, bis nur noch Weißes in ihnen zu sehen war. Sein ganzer Leib zitterte, Schweiß rann in Bächen an ihm herunter.
Die Anderen fingen an, ihn mit der Salbe einzureiben. Die Salbe begann an seinem Körper zu qualmen, und plötzlich bewegte sich seine Haut.
Marion starrte mit weit geöffneten Augen auf die Szene. Tränen liefen ihr die Wangen herunter, aber sie fühlte nichts in diesem Moment, ihre Angst war so groß wie der Raum in dem sie fest saß, ihre Angst war wie die Luft, die sie atmete, sie spürte sie nicht, sie war in der Angst.
Eckhardts Haut wölbte sich zu Beulen, die in seinem Leib hin und her zu wandern schienen. Wie Ratten unter einem Teppich bewegten sich die Beulen hin und her und machten ein Geräusch, als zerreiße jemand ein rohes Stück Fleisch. Eine Beule wanderte von seinem Bauch aus hoch über den Oberleib, drängte sich hinter sein rechtes Auge und hob es gefährlich weit aus der Höhle hinaus. Eine weitere Beule, groß wie ein Hühnerei, kreiste um seinen Solarplexus und versuchte mit Gewalt, was auch immer, durch seinen Bauchnabel zu drücken. Plötzlich schwoll Eckhardts Penis in einer riesigen Erektion an. Mit Entsetzen sah Marion, dass Eckhardt begann, sich in die Luft zu erheben. Er erhob sich bis auf die Zehenspitzen, dann schwebte er einige Zentimeter über dem Boden. Er verdrehte die Augen, das Weiße war inzwischen rot von geplatzten Äderchen, er murmelte und zischte in einer fremdartigen Sprache Worte, die sie nicht verstand, aber an ihrem Klang erkannte sie, dass es Obszönitäten waren. Seine Arme waren nach unten gerichtet, unter seinen Achselhöhlen lief Blut hervor und hinunter bis zu seinen Fingerspitzen, von dort tropfte es hinab auf den Boden und vermischte sich mit den Resten der Salbe.
Dann begann
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