Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
schluckte das Fleisch mit zwei Bissen herunter, beschnupperte kurz Wessels Hände und Taschen, drehte sich, nichts weiteres erwartend, um und trabte weiter die Gasse hinunter.
Es ging weiter durch die dunkler werdende Stadt.
Bald war klar, dass der Hund den Stadtrand ansteuerte. Sicher hatte er irgendwo außerhalb einen Unterschlupf gefunden. Wessel fluchte still vor sich hin. Die nervöse Unruhe wich immer mehr der Angst, dass er sein Forschungsobjekt verlieren könnte. Je dunkler es wurde, desto sicherer schien der Hund seinen Weg zu finden, desto mehr geriet aber Wessel ins Stolpern und Schlingern.
Er schwitzte schon gehörig als sie endlich den Stadtrand erreichten. Hier war es etwas heller, der Mond beleuchtete die vom Schnee in riesige weiße Platten verwandelten Felder. Wessel schöpfte neuen Mut.
Er sah den Hund auf eine Bretterbude zusteuern, die auf offenem Feld, außerhalb der Sichtweite des nahegelegenen Oberhuser Hofes, stand.
***
Er folgte dem Hund vorsichtig in die zugige Scheune hinein. Das Tier verzog sich in eine Ecke auf einen Haufen alten, schmutzigen Strohs. Wessel blieb direkt im inneren der Scheune neben dem Tor. Es war fast vollkommen dunkel, nur wenig des spärlichen Mondlichtes gelangte durch das undichte Dach und verfing sich im Gebäude. Erst nach einiger Zeit gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel. Auf dem Stroh konnte er die Umrisse des Hundes sehen.
Er wartete, bis er den ruhigen Atem des Tieres hören und annehmen konnte, das es in Schlaf gefallen war, dann ging er langsam auf den Strohhaufen zu und hockte sich vor ihm hin. Der Brustkorb des Hundes hob und senkte sich regelmäßig. Wessel blieb hocken bis er sicher sein konnte, dass die Tinktur dem Tier nichts sichtbar böses hatte anhaben können. Er legte seine rechte Hand auf das Herz des Tieres.
Es schlug gleichmäßig. Nur ein leises Jaulen und gelegentliches Zucken der Beine verriet, dass der Hund träumte.
Wessel wartete noch eine Weile um zu sehen, ob die Tinktur eine tödliche Wirkung auf das Tier haben würde. Als er sich sicher war, das nicht der Fall war, verließ er die Scheune und ging über die schneebedeckten Felder zurück in die Stadt.
Jetzt, so dachte er, könnte auch er die Tinktur ausprobieren. Er überlegte schon, dass er lieber eine Salbe herstellen wollte, so ließe sich eine eventuelle Reizung innerer Organe verhindern.
Er wusste noch nicht, dass es sein Glück war, dass es infolge der Ereignisse nicht dazu kam, dass er die Salbe ausprobieren konnte.
***
Die Bewohner des Oberhuser Hofes lebten in Sorge. Nicht nur, dass die Unwetter des letzten Jahres wieder einmal die Ernte verhagelt hatten und die Wintervorräte nun bald zu Ende gehen würden, in dieser Nacht war ihnen eine trächtige Kuh krepiert, kurz bevor sie hatte werfen können. Mit Schaum vor dem Maul war sie zusammengebrochen und hatte ihren letzten Hauch getan. Nichts hatte geholfen, die Knechte hatten das Unglück zu spät bemerkt und die beiden Oberhuser Brüder konnten nichts weiter tun, als den toten Wurf aus dem Tier herauszuschneiden.
Barnabas legte das Messer beiseite, stand auf und wischte sich das Blut mit etwas Stroh von den Händen. In der Scheune verbreitete sich der faulige Geruch des Gedärms, das sich glasig über den Boden verbreitete. Das tote Kalb steckte noch halb in der Mutterkuh, die Augen geschlossen, die Nüstern vom Blut verklebt. Er wandte sich abrupt ab und verließ die Scheune, hinaus und über den Hof, auf dem vereiste Blätter sich in Wirbeln gegen die Scheune warfen.
"Zuviel Unglück." dachte er, "Zuviel Unglück, um nicht Vermutungen anzustellen. Es geht nicht mit rechten Dingen zu."
Er ging ins Haus. Sein Bruder Rüdiger folgte ihm. Seit der Vater tot war, lag kein Glück mehr über dem Hof. Die Mutter war schon vor drei Jahren, ganz wie heute Nacht die Kuh, mit einer Frucht im Leib gestorben. Ein Fieber hatte sie vom Kindbett weg dahingerafft. Ihre Buß- und Betbücher in denen Gevatter Tod Päpsten, Kaufleuten und Dirnen, Gerechten und Ungerechten ein gleiches Schicksal versprach, hatten Recht behalten. Der Sensenmann kam, wie er wollte: zur Unzeit.
Aber der Tod der Mutter hatte die Gewohnheiten des Vaters nicht lange unterbrechen können. Nachdem die Verwandten angereist waren und Abschied genommen hatten, begrub man sie und fuhr mit der Bewirtschaftung des Hofes fort. Der Vater beschlief von nun an die Mägde und das Leben nahm seinen Gang.
Die beiden Brüder, die nun,
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