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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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Ihre Waffen blinkten und blitzten und ihre Gesänge ließen die Luft zittern. Auf Katzen und Ziegen reitend kamen, in weiße Tücher gehüllt, die ungetauften toten Kinder, gefolgt von den Krüppeln und Narren. Schellenglocken und Krücken mischten sich in ohrenbetäubendem Klopfen und Klingeln zu einem Willkommen für die Große Göttin.
    Sie kam auf ihrem Thronwagen in der Mitte des Zuges. Zwerge und bocksbeinige Faune trugen den mächtigen Thron, aus uraltem Baum und Knochen gewirkt, hoch. Nackt hockte dort die Göttin, die Herrin der Tiere und des Waldes, die Anführerin der Totenschar, übermenschengroß und mit zwei Hörnern aus glänzendem Elfenbein, die sich weit ab von ihrem Kopf in den Himmel bogen. Ihre Brüste waren groß und weiß und Milch tropfte von ihnen hinab und floß großzügig den Thron hinunter auf das Eis. Ihr Gesicht glänzte in Güte und Wildheit, Milde und Zorn zugleich. Den Thron bewachten Luchse und Wölfe, Ochsen und Bären. Das Eis knirschte und brach unter ihrem Gewicht. Einzelne Brocken regneten herunter und hatten Wessel ins Gesicht getroffen.
    Aber er hatte es nicht gespürt.
    Gebannt hatte er nach oben gestarrt, hoch zu der Schar, die sich langsam in der Ferne dort oben verlor, dann war er in eine selige Ohnmacht gefallen.
    Das war seine Berufung gewesen und seit damals hatten seine Forschungen eine andere Richtung erhalten. Seit damals suchte er kein Gold mehr zu machen, sondern er suchte seine Seele zu verwandeln, um der Herrin würdig zu sein.

 
    ***

 
    Endlich löste sich der Markt auf.
    Die frühe Dämmerung würde bald einbrechen und die Bauern wollten zurück in die umliegenden Dörfer bevor die Nacht vollends die Stadt in Dunkelheit tauchte.
    Wessel ging wieder in die Richtung, in der er den Hund zuletzt gesehen hatte. Er hatte Glück, das Tier strich immer noch um die Stände herum, an denen er ihn verlassen hatte.
    Etwas Abstand haltend, aber immer ein waches Auge auf das Tier gerichtet, stellte sich Wessel an eine der Hauswände, die den Marktplatz begrenzten.
    Der Streuner brauchte noch eine Weile um einzusehen, dass nun nichts mehr für ihn zu holen war, dann trabte er, den Kopf gesenkt, durch die Gassen vom Marktplatz weg.
    Wessel folgte ihm, immer in einiger Entfernung.
    Was der offene Marktplatz noch vom spärlichen Licht der Januarsonne hatte auffangen können, reichte kaum mehr für die Schluchten und engen Winkel der inneren Stadt. Die Geräusche und Gerüche des Marktes verloren sich und der Hund und sein menschlicher Schatten drangen tiefer in das Gewirr aus schrägen Wänden, mit Stroh und Moos verstopften Fensterlöchern und schiefen Dächern.
    Es wurde dunkler, erste Sterne blitzten am pechschwarzen Himmel auf. Einige Male blickte das Tier sich nach Wessel um und setzte dann seinen gleichmäßigen Trab fort.
    Wessel folgte.
    Schließlich blieb das Tier stehen, wandte sich seinem Verfolger zu und setzte sich auf seine Hinterpfoten, Wessel unverwandt anblickend, als erwarte es nun, was durch die Beharrlichkeit seines Verfolgers immer unausweichlicher wurde. Wessel nahm das Tuch aus seiner Tasche, wickelte das Fleisch aus, hockte sich in den kalten Schnee und hielt es lockend vor sich hin.
    "Na, mein Guter, du hast doch Hunger, nicht? Wirst schon sehen, das wird dir schmecken ," flüsterte er.
    Das Tier reckte seinen Kopf in Richtung des Fleisches, nahm Witterung auf und wurde unruhig zwischen seinem Hunger und Erinnerungen an tausend Tritte und Schläge, die es im Laufe seines Vagabundenlebens hatte einstecken müssen. Schließlich siegte der Hunger über die Vorsicht, wie das Leben es in seiner stetig drängenden Macht will, und es schob sich auf allen Vieren Wessel entgegen, leise winselnd dem Gegenüber seine Unterlegenheit bezeugend, schnappte nach dem Fleisch und begann, es gierig hinunter zu würgen.
    Plötzlich wurde Wessel klar, dass er einen Strick hätte einstecken sollen. Was, wenn der Köter auf Nimmerwiedersehen im Gewirr der Gassen verschwand oder sogar in den Wald hinein flüchtete? Wie sollte er die Wirkung der Tinktur überprüfen? Scham über seine Dummheit stieg in ihm auf. Wohl oder übel musste er dem Tier weiter folgen, wollte er Ergebnisse erzielen. Ihn festzuhalten und zu warten bis eine Wirkung einsetzte, daran wollte er gar nicht denken. Ein Hundebiß war kein Scherz, und wenn das Tier sich wehrte und es zum Kampf kam, konnten sich schnell die verrammelten Fensterläden öffnen und neugierige Zuschauer erscheinen.
    Das Tier

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