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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Gedanken machen, sich fragen, was für ein Verbrechen sie begangen haben mochten. Denn mag man noch so wenig daran glauben, man glaubt trotzdem daran. Die tückische Idee gräbt sich ihre Gänge. Lautlos dringt sie in die unnennbaren Regionen des Geistes vor, sie schnüffelt, sie schlendert. Man stößt sie zurück, sie schweigt, sie kommt wieder.
    »Auf welche Weise sterben die, die ›ergriffen‹ werden?«
    »Das kommt drauf an. An einem schrecklichen Fieber oder durch Mord. Wenn es nicht durch eine blitzartig auftretendeKrankheit oder einen Unfall geschieht, dann von der Hand eines Irdischen, der sich zum Vollstrecker des gnadenlosen Willens der Armee macht. Ein Mord also, aber ein vom Seigneur Hellequin befohlener Mord. Sie verstehen?«
    Die beiden Gläser Wein, die er getrunken hatte – was ihm selten passierte –, hatten Adamsbergs leichte Verstimmung gelöst. Jetzt fand er, ganz im Gegenteil, dass die Begegnung mit einer Frau, die die Gabe hatte, dieses schaurige Heer zu sehen, eine seltene und anregende Erfahrung war. Und dass die realen Konsequenzen einer solchen Vision erschreckend sein konnten. Er schenkte sich noch ein halbes Glas ein und stahl sich eine Zigarette aus dem Päckchen seines Sohns.
    »Ist das eine Legende speziell von Ordebec?«, fragte er.
    Danglard schüttelte den Kopf.
    »Nein. Die Mesnie Hellequin zieht durch ganz Nordeuropa. Durch die skandinavischen Länder, Flandern, dann durchquert sie den Norden Frankreichs und England. Aber sie wählt immer dieselben Wege. Über den von Bonneval jagt sie seit tausend Jahren.«
    Adamsberg zog einen Stuhl heran und setzte sich, die Beine lang ausgestreckt, womit er den kleinen Kreis der drei Männer vor dem Kamin schloss.
    »Und doch«, begann er – und da endete sein Satz wie so oft mangels eines hinreichend präzisen Gedankens, um ihn fortsetzen zu können.
    Danglard hatte sich niemals an die unbestimmten Nebelschwaden des Adamsberg’schen Denkens gewöhnen können, an seine Zusammenhangslosigkeit, seine mangelnde Schlüssigkeit.
    »Und doch«, fuhr er an seiner Stelle fort, »ist es nur die Geschichte einer unglücklichen jungen Frau, die immerhin so verstört ist, dass sie Visionen hat. Und einer Mutter, die so verängstigt ist, dass sie daran glaubt und sogar die Polizei um Hilfe bittet.«
    »Und doch ist es auch eine Frau, die vier Tode ankündigt. Nehmen Sie mal an, Michel Herbier ist nicht weggefahren, nehmen Sie an, man findet seine Leiche.«
    »Dann ist Ihre Lina in einer sehr schlimmen Lage. Wer sagt, dass sie Herbier nicht umgebracht hat? Und diese Geschichte nur erzählt, um ihre Leute zu verwirren?«
    »Verwirren, wie das?«, meinte Adamsberg lächelnd. »Glauben Sie tatsächlich, dass die Reiter dieses Wütenden Heeres plausible Verdächtige für einen Bullen abgeben? Glauben Sie, Lina hält sich für schlau, wenn sie uns einen Typen als Schuldigen anbietet, der seit tausend Jahren dort in der Gegend herumreitet? Wen sollen wir da verhaften? Den Boss von dieser Hennequin-Sippe?«
    »Hellequin. Und er ist Seigneur. Am Ende gar ein Nachfahre von Odin.«
    Danglard füllte mit sicherer Hand sein Glas.
    »Vergessen Sie’s, Kommissar. Lassen Sie die Reiter ohne Beine, wo sie sind, und diese Lina auch.«
    Adamsberg nickte zum Zeichen der Zustimmung, und Danglard leerte sein Glas. Nachdem er gegangen war, lief Adamsberg mit leerem Blick im Zimmer auf und ab.
    »Erinnerst du dich«, sagte er zu Zerk, »als du das erste Mal hier warst, war die Glühbirne an der Decke kaputt?«
    »Ist sie immer noch.«
    »Wie wär’s, wenn wir sie auswechselten?«
    »Damals hast du gesagt, dass dir das egal ist, ob die Birnen brennen oder nicht.«
    »Das stimmt. Aber es kommt immer ein Moment, wo man einen Schritt tun muss. Es kommt immer ein Moment, wo man sich sagt, dass man die Birne auswechseln wird, wo man sich sagt, morgen rufe ich den Capitaine der Gendarmerie in Ordebec an. Das muss ich dann nur auch tun.«
    »Aber Commandant Danglard wird schon recht haben. Die Frau ist bestimmt nicht ganz richtig im Kopf. Was willst du mit ihrer Wütenden Armee anfangen?«
    »Was mich stört, ist nicht ihre Armee, Zerk. Sondern dass da einer kommt und mir mehrere gewaltsame Tode ankündigt, auf welche Weise auch immer.«
    »Ich verstehe. Also dann kümmere ich mich mal um die Birne.«
    »Wartest du noch bis elf, um die Taube zu füttern?«
    »Ich werde heute Nacht hier unten bleiben, um sie jede Stunde zu versorgen. Ich kann gut im Sitzen ein bisschen die Augen

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