Die Nacht des Zorns - Roman
ausgedrückt. In Wirklichkeit verfügte der Vater über zwei Drittel des Bausektors und der Metallindustrie. Der eine der Söhne ist Mehrheitseigner in der Informatikbranche, der andere im Immobiliensektor. Aber in der Summe herrschte der Alte, und er hatte nicht die Absicht, seinen Söhnen die alleinige Befehlsgewalt zu überlassen. Seit einem Jahr kursierten Gerüchte, wonach der Alte bereits etliche Fehlentscheidungen getroffen hätte und Christian, der ältere Sohn, erwägen würde, ihn zur Sicherung des Konzerns unter Vormundschaft stellen zu lassen. Aus Wut darüber hatte der Alte beschlossen, im nächsten Monat seine Haushälterin zu heiraten, ein Mädchen von der Elfenbeinküste, vierzig Jahre jünger als er, die ihm seit zehn Jahren auch sonst manchen kleinen Dienst erweist und seine Gespielin im Bett ist. Sie hat einen Sohn und eine Tochter, die der alte Antoine anschließend zu adoptieren gedachte. Vielleicht eine Provokation, aber die Entschlossenheit eines alten Mannes kann hundertmal unbeugsamer sein als das Feuer der Jugend.«
»Haben Sie die Alibis der beiden Söhne überprüft?«
»Absolutes Veto«, knurrte Danglard zwischen den Zähnen. »Sie stehen zu sehr unter Schock, um die Polizei empfangen zu können, wir wurden gebeten, zu warten.«
»Danglard, wer ist der Techniker, den das Labor uns schickt?«
»Enzo Lalonde. Ein sehr guter Mann. Machen Sie das nicht, Kommissar. Uns fängt der Boden unter den Füßen schon an beiden Enden an zu brennen.«
»Das was?«
»Ach, nichts.«
Adamsberg steckte sein Telefon ein, rieb sich den Nacken und schleuderte seinen Arm in Richtung Hügel, um seine Stromkugel ins Land zu werfen. Es schien zu funktionieren. Mit offenen Schnürsenkeln rannte er sehr schnell die Gässchenvon Ordebec hinunter, geradewegs auf eine Telefonzelle zu, die er auf dem Weg zwischen Léos Herberge und dem Stadtzentrum bemerkt hatte. Eine Kabine, die kaum einsehbar war, da sie von den hohen Blütendolden wilder Karotten umschlossen war. Er rief das Labor an und verlangte Enzo Lalonde zu sprechen.
»Keine Sorge, Kommissar«, entschuldigte sich Lalonde sofort. »In fünfundvierzig Minuten spätestens bin ich bei Ihnen in der Brigade. Ich beeile mich.«
»Im Gegenteil, eilen Sie nicht. Sie werden noch einen Augenblick im Labor aufgehalten, danach haben Sie die größten Probleme, Ihren Wagen zu starten, schließlich stehen Sie in einem Stau, sind womöglich in einen Unfall verwickelt. Wenn Sie sich an einem Eckpfosten einen Scheinwerfer einschlagen könnten, wäre das perfekt. Oder eine Stoßstange einbeulen. Ich überlasse das Ihrer Improvisation, es heißt, Sie sind gut.«
»Irgendwas nicht in Ordnung, Kommissar?«
»Ich brauche Zeit. Zögern Sie Ihre Probenentnahme so weit wie möglich hinaus, dann teilen Sie mit, dass bei einer Versuchsabweichung die Analyse verdorben wurde. Dass man sie morgen wird wiederholen müssen.«
»Kommissar«, sagte Lalonde nach einem Moment des Schweigens, »ist Ihnen klar, was Sie da von mir verlangen?«
»Nur ein paar Stunden, nicht mehr. Auf Weisung eines Vorgesetzten und im Interesse der Ermittlung. Der Angeklagte geht in jedem Fall in den Knast. Sie können ihm doch wohl einen Tag mehr lassen?«
»Ich weiß nicht, Kommissar.«
»Nichts für ungut, Lalonde. Verbinden Sie mich mit Dr. Romain und vergessen Sie den Auftrag. Romain wird ihn ohne Herzdrücken übernehmen.«
»Also gut, Kommissar, ich mach’s«, sagte Lalonde nach einem weiteren Schweigen. »Dienst gegen Dienst, zufällig habe ich diese Geschichte mit dem Bindfaden an den Beineneiner Taube auf den Tisch bekommen, geben auch Sie mir etwas Zeit, ich bin überlastet.«
»Soviel Sie wollen. Aber finden Sie was.«
»Es sind Hautzellen an der Faser hängengeblieben. Der Typ hat sich die Finger dran aufgeschnitten. Vielleicht sogar aufgerissen. Sie brauchen nur noch nach einem Kerl zu suchen, der einen unsichtbaren kleinen Schnitt in der Falte vom Zeigefinger hat. Wobei die Schnur selbst vielleicht noch mehr aussagen kann. Es ist keine gewöhnliche.«
»Sehr gut«, beglückwünschte Adamsberg ihn, weil er spürte, dass der junge Enzo Lalonde versuchte, seine Zaghaftigkeit vergessen zu machen. »Und vor allem, rufen Sie mich nicht in der Brigade oder auf meinem Mobiltelefon an.«
»Ich habe verstanden, Kommissar. Nur eins noch: Ich kann es so einrichten, dass ich die Schlussfolgerungen erst morgen liefere. Aber ich werde die Ergebnisse einer Analyse nie fälschen. Verlangen Sie das
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