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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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hielt vor dem Haus, Türen schlugen, Adamsberg erhob sich und ging hinaus. Er wartete, bis die Krankenpfleger die Trage behutsam in den Wagen schoben, und strich mit dem Handrücken sanft über das Haar der alten Frau.
    »Ich komme wieder, Léo«, sagte er zu ihr. »Ich werde da sein. Brigadier, bitten Sie Capitaine Émeri, dass er sie Tag und Nacht bewachen lässt.«
    »Gut, Kommissar.«
    »Niemand darf zu ihr ins Zimmer.«
    »Gut, Kommissar.«
    »Überflüssig«, sagte die Ärztin kalt, als sie in der Ambulanz Platz nahm. »Sie wird den heutigen Abend nicht erleben.«
    Noch langsamer als gewöhnlich ging Adamsberg ins Haus zurück, das der dicke Brigadier bewachte. Er hielt seine Hände unters Wasser, wusch sich Léones Blut ab, trocknete sie an dem Tuch, das er am Abend zuvor fürs Geschirr benutzt hatte, legte es ordentlich über eine Stuhllehne. Ein blau-weißes Geschirrtuch mit Bienenmuster.
    Trotz des Verschwindens seiner Herrin hatte sich der Hund nicht von der Stelle gerührt. Er wimmerte leiser jetzt, stieß seine Klage bei jedem Atemzug aus.
    »Nehmen Sie ihn mit«, sagte Adamsberg zu dem Brigadier. »Geben Sie ihm ein Stück Zucker. Lassen Sie das Tier nicht hier.«
    Im Zug trockneten der Dreck und die Blätter unter seinen Schuhsohlen und setzten sich in zahlreichen schwärzlichen Klümpchen auf dem Boden ab, unter dem pikiertenBlick einer Frau, die ihm gegenübersaß. Adamsberg nahm ein Bruchstückchen davon auf, geformt vom Profil seiner Sohlen, und steckte es in seine Hemdentasche. Die Frau konnte nicht wissen, dachte er, dass sie heilige Relikte sah, Überreste des Weges von Bonneval, zerstampft von den Hufen des Wütenden Heeres. Der Seigneur Hellequin würde Ordebec noch einige Male heimsuchen, es blieben ihm drei Lebende zu ergreifen.

11
    Adamsberg hatte Momo-mèche-courte zwei Jahre lang nicht gesehen. Er musste inzwischen dreiundzwanzig sein, zu alt, um noch mit Streichhölzern zu spielen, zu jung, um den Kampf aufzugeben. Seine Wangen verschattete jetzt ein Bart, doch diese neue männliche Note machte ihn nicht beeindruckender.
    Man hatte den jungen Mann in den Vernehmungsraum geführt, ohne Tageslicht, ohne Ventilator. Adamsberg beobachtete ihn durch die Glasscheibe, er saß gebeugt auf seinem Stuhl, den Blick zu Boden gerichtet. Die Lieutenants Noël und Morel verhörten ihn. Noël lief um ihn herum, indem er nachlässig mit dem Jo-Jo spielte, das er dem jungen Mann abgenommen hatte. Momo hatte nicht wenige Meisterschaften damit gewonnen.
    »Wer hat Noël auf ihn angesetzt?«, fragte Adamsberg.
    »Er hat gerade eben die Ablösung übernommen«, erklärte Danglard etwas kleinmütig.
     
    Die Vernehmung dauerte nun schon seit dem Morgen, und Commandant Danglard hatte noch nichts getan, um sie zu unterbrechen. Momo hielt seit Stunden an derselben Version fest: Er hatte allein im Park von Fresnay gewartet, er hatte diese neuen Turnschuhe in seinem Wandschrank gefunden, er hatte sie aus dem Beutel herausgenommen. Wenn er Benzin an den Händen hatte, so rührte es von diesen Schuhen her. Wer Antoine Clermont-Brasseur war, wusste er nicht, keine Ahnung.
    »Hat man ihm was zu essen gegeben?«, fragte Adamsberg.
    »Ja.«
    »Zu trinken?«
    »Zwei Cola. Verdammt, Kommissar, was glauben Sie? Wir sind nicht dabei, ihn zu foltern.«
    »Der Präfekt persönlich hat angerufen«, schaltete Danglard sich ein. »Momo muss bis heute Abend alles ausgespuckt haben. Order vom Innenminister.«
    »Wo sind diese berühmten Turnschuhe?«
    »Dort«, sagte Danglard und wies auf einen Tisch. »Sie stinken immer noch nach Benzin.«
    Adamsberg prüfte sie, ohne sie anzurühren, und nickte.
    »Durchtränkt bis in die Enden der Schnürsenkel«, sagte er.
    Brigadier Estalère stürzte herein, gefolgt von Mercadet mit Telefon in der Hand. Ohne Adamsbergs stillschweigenden Schutz hätte der junge Estalère die Brigade schon längst für ein kleines Kommissariat außerhalb der Hauptstadt verlassen. Alle seine Kollegen waren mehr oder weniger der Ansicht, dass Estalère nicht sonderlich aufgeweckt, um nicht zu sagen ein kompletter Idiot war. Er riss seine großen grünen Augen über der Welt auf, als bemühte er sich, nichts von ihr zu verpassen, und doch lief er ständig an den augenscheinlichsten Tatsachen vorbei. Der Kommissar behandelte ihn als einen jungen Spross im Wachstum und versicherte, dass sich sein Potential eines Tages noch offenbaren würde. Aber so beharrlich sich der junge Mann auch mühte, zu lernen und zu

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