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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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angezählt ist. Erscheint dir das nicht normal, dass einer seine Haut retten will?«
    »Sicher erscheint mir das normal. Aber von seiner Seite, nein«, erwiderte Noël im Weggehen. »Ja, es enttäuscht mich sogar.«
    Adamsberg kam aus dem Vernehmungsraum und reichte Estalère die Schuhe. Er begegnete den vielsagenden Blicken seiner Mitarbeiter, insbesondere dem von Commandant Danglard.
    »Übernehmen Sie, Mercadet, ich habe noch mit der Normandie zu tun. Jetzt, wo Mo das Vertrauen in mich verloren hat, wird er ziemlich schnell aufgeben. Stellen Sie ihm einen Ventilator rein, dann schwitzt er weniger an den Händen. Und sobald der Techniker seine erneuten Proben genommen hat, schicken Sie ihn zu mir rein.«
    »Ich glaubte immer, Sie wären gegen eine Anklage«, bemerkte Danglard in etwas gespreiztem Ton.
    »Aber seitdem habe ich seine Augen gesehen. Er hat es getan, Danglard. So traurig es ist, aber er hat’s getan. Willentlich oder nicht, das müssen wir noch herausfinden.«
    Wenn es etwas gab, was Danglard mehr als alles andere an Adamsberg missbilligte, so war es diese Art, seine Empfindungen als erwiesene Tatsachen zu betrachten. Darauf pflegte Adamsberg zu entgegnen, dass Empfindungen Tatsachen seien, materielle Elemente, die den gleichen Wert hätten wie eine Laboranalyse. Dass das menschliche Hirn das gigantischste aller Labore sei und vollkommen in der Lage, empfangene Daten wie zum Beispiel einen Blick systematisch zu gliedern und zu analysieren und daraus nahezu sichere Schlüsse zu ziehen. Diese Pseudologik widerte Danglard an.
    »Es geht nicht darum, zu sehen oder nicht zu sehen, Kommissar, sondern zu wissen.«
    »Und wir wissen, Danglard. Mo hat den Alten auf dem Altar seiner Überzeugungen geopfert. Heute Morgen hat in Ordebec ein Kerl eine alte Dame erschlagen, so wie man einen Wurm auf dem Boden zertritt. Ich bin nicht in der Stimmung, Mörder mit Glacéhandschuhen anzufassen.«
    »Heute früh waren Sie der Meinung, dass Momo in eine Falle gegangen sei. Heute früh sagten Sie, dass er sich auf jeden Fall seiner Schuhe entledigt hätte, statt sie in seinem Wandschrank für die Anklage aufzuheben.«
    »Mo hat sich für noch schlauer gehalten. Für so schlau, dass er sich neue Turnschuhe besorgt hat, um uns glauben zu machen, wir hätten ihm fälschlicherweise die Schuld zuschieben wollen. Dabei, Danglard, geht die Sache sehr wohl auf seine eigene Kappe.«
    »Wegen seines Blicks?«
    »Zum Beispiel.«
    »Und was für Beweise haben Sie in seinem Blick gelesen?«
    »Hochmut, Grausamkeit, und jetzt nackte Angst.«
    »Das haben Sie alles im richtigen Maß herausgelesen? Und analysiert?«
    »Ich sagte Ihnen, Danglard«, erwiderte Adamsberg mitetwas unheilvoller Sanftheit, »dass ich nicht in der Stimmung bin, zu diskutieren.«
    »Abscheulich«, murmelte Danglard schroff.
    Adamsberg wählte auf seinem Telefon die Nummer des Krankenhauses von Ordebec. Er machte Danglard ein Zeichen mit der Hand, wie ein gleichgültiges Abwinken.
    »Gehen Sie nach Hause, Commandant, das ist das Beste, was Sie tun können.«
    Sieben von seinen Mitarbeitern hatten sich um sie geschart, um den Wortwechsel zu verfolgen. Estalère machte ein völlig verstörtes Gesicht. »Und Sie alle auch, wenn Sie befürchten, die Fortsetzung könnte Ihnen nicht gefallen. Ich brauche nur zwei Männer hier bei Mo. Mercadet und Estalère.«
    Dergestalt verabschiedet, zerstreute sich die Gruppe schweigend, sprachlos oder voller Missbilligung. Danglard hatte sich, bebend vor Zorn, mit großen Schritten entfernt, so schnell, wie sein eigentümlicher Gang es ihm erlaubte, denn seine zwei langen Beine erweckten den wenig verlässlichen Eindruck von zwei halb geschmolzenen Kerzen. Er stieg die Wendeltreppe zum Keller hinunter, zog die Weißweinflasche heraus, die er hinter dem großen Heizkessel versteckt hielt, und trank, ohne innezuhalten. Schade, sagte er sich, wo er nun schon mal bis sieben Uhr abends ohne zu trinken ausgehalten hatte. Er setzte sich auf die Kiste, die ihm hier unten als Sitzgelegenheit diente, und bemühte sich, ruhig zu atmen, um seine Wut zu besänftigen und vor allem den Schmerz seiner Enttäuschung. Ein beinahe panischer Zustand für ihn, der Adamsberg so sehr geliebt hatte, sich immer verlassen hatte auf die verführerischen Wege seines Denkens, auf sein Abgehobensein und, ja, auch auf seine etwas schlichte und nahezu unerschütterliche Sanftmut. Aber die Zeit war vergangen, und die fortgesetzten Erfolge hatten Adamsbergs

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