Die Nacht des Zorns - Roman
ursprüngliches Wesen verdorben. Gewissheit und Selbstsicherheit waren in sein Bewusstseineingesickert, neues Material mit sich führend, den Ehrgeiz, den Hochmut, die Unnachgiebigkeit. Adamsbergs berühmte Lässigkeit wendete sich und zeigte allmählich ihre dunkle Seite.
Ungetröstet stellte Danglard die Flasche in ihr Versteck zurück. Er hörte die Tür zuschlagen, die Beamten folgten der Anweisung und verließen nach und nach das Haus, in Erwartung eines besseren Morgen. Der folgsame Estalère blieb bei Momo zurück, zusammen mit Lieutenant Mercadet, der neben ihm vermutlich einschlief. Mercadets Wach- und Schlafrhythmus lag bei etwa dreieinhalb Stunden. Beschämt über dieses Handicap, wagte er nicht, sich dem Kommissar zu widersetzen.
Danglard erhob sich kraftlos, und um den Nachhall ihres Streits zu verdrängen, richtete er sein Denken auf das Abendessen mit seinen fünf Kindern. Seine fünf Kinder, dachte er grimmig, während er das Treppengeländer fasste, um wieder nach oben zu gehen. Dort war sein Leben, nicht bei Adamsberg. Seinen Job kündigen, warum nicht gar nach London gehen, wo seine Freundin lebte, die er viel zu selten sah. Dieser Beinah-Entschluss schenkte ihm ein Gefühl von Stolz und gab seinem verletzten Gemüt ein wenig Elan zurück.
Adamsberg, der sich in sein Büro eingeschlossen hatte, hörte die Tür der Brigade zuschlagen, jedes Mal, wenn einer seiner verstörten Mitarbeiter diesen von Unbehagen und Groll vergifteten Ort verließ. Er hatte getan, was getan werden musste, und machte sich keinerlei Vorwurf. Er war es ein bisschen grob angegangen, aber die Dringlichkeit hatte ihm keine Wahl gelassen. Danglards Zornausbruch überraschte ihn. Seltsam, dass sein alter Freund ihn nicht unterstützt hatte und ihm gefolgt war wie sonst fast immer. Zumal Danglard nicht an Momos Schuld zweifelte. Seine so feine Intelligenz hatte versagt. Doch wenn die großen innerenÄngste über ihn kamen, verbargen sie dem Commandant häufig die einfache Wahrheit, verzerrten sie alles auf ihrem Wege, verschlossen sie ihm die Augen vor dem Offenkundigen. Wenn auch nie für lange.
Gegen 20 Uhr hörte er den schleppenden Schritt von Mercadet, der Mo zu ihm brachte. In einer Stunde würde das Schicksal des jungen Brandstifters entschieden sein, und morgen würde er sich den Reaktionen seiner Kollegen stellen müssen. Die Einzige, die er wirklich fürchtete, war Retancourt. Aber er konnte nicht zögern. Was auch immer Retancourt oder Danglard denken mochten, er hatte in Momos Augen gelesen, und damit war der Weg vorgezeichnet, den er unweigerlich gehen musste. Er stand auf, um die Tür zu öffnen, und steckte sein Handy ein. Léo in Ordebec war noch immer am Leben.
»Setz dich«, sagte er zu dem eintretenden Mo, der den Kopf senkte, um seine Augen zu verbergen. Adamsberg hatte ihn weinen hören, die Verteidigungswälle brachen ein.
»Er hat nichts gesagt«, berichtete Mercadet in sachlichem Ton.
»Es wird gleich vorüber sein«, sagte Adamsberg und drückte dem jungen Mann auf die Schulter, damit er sich setzte. »Mercadet, legen Sie ihm die Handschellen an und gehen Sie nach oben, sich ausruhen.«
Nach oben, das hieß in den kleinen Raum mit dem Getränkeautomaten und dem Fressnapf des Katers, wo der Lieutenant ein paar Kissen auf den Boden gelegt hatte, auf denen er seine zyklischen Siesten hielt. Mercadet nutzte sie, um den Kater zu seinem Napf zu tragen und dann zusammen mit ihm zu schlafen. Retancourt fand, seit der Lieutenant und der Kater sich auf diese Weise zusammengetan hatten, hatte Mercadets Schlaf an Qualität gewonnen, und seine Siesten dauerten weniger lang.
12
Das Telefon klingelte bei Capitaine Émeri mitten beim Abendessen. Verärgert nahm er ab. Die Zeit des Abendessens war für ihn eine luxuriöse und wohltuende Unterbrechung im Tagesablauf, an der er in einem relativ bescheidenen Leben nahezu mit Besessenheit festhielt. In seiner Dreizimmer-Dienstwohnung war der größte Raum dem Speisezimmer vorbehalten und die Verwendung eines weißen Tischtuchs verbindlich. Auf diesem Tuch glänzten zwei aus dem Erbe des Marschalls Davout gerettete silberne Gegenstände, eine Bonbonniere und eine Obstschale, beide geprägt mit dem kaiserlichen Adler und den Initialen des Vorfahren. Émeris Haushälterin drehte das Tischtuch unauffällig auf seine bekleckerte Seite, um Wäsche zu sparen, denn sie hatte keinerlei Respekt vor dem alten Fürsten von Eckmühl.
Émeri war kein Dummkopf. Er wusste, dass
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