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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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seine Verbeugungen vor dem Ahnen ein Leben kompensierten, das er als mittelmäßig ansah, und einen Charakter, der nicht die berühmte Verwegenheit des Marschalls besaß. Eher von ängstlicher Natur, hatte Émeri die Militärkarriere seines Vaters ausgeschlagen und sich in puncto Armee für das Korps der nationalen Gendarmerie und in puncto Eroberungen für den weiblichen Körper entschieden. Er urteilte sehr streng über sich, außer in der glanzvollen Stunde des Diners, während der er sich eine nachsichtige Pause gönnte. An diesem Tisch gestand er sich gewandtes Auftreten und Autorität zu, und diese tägliche Dosis Narzissmus hatte etwas sehr Belebendes für ihn. Man wusste, dass man ihn,außer in dringenden Fällen, im Augenblick des Essens nicht stören durfte. Die Stimme des Brigadiers Blériot klang darum auch ein wenig zögernd.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Capitaine, doch ich glaubte Sie informieren zu müssen.«
    »Léo?«
    »Nein, ihr Hund, Capitaine. Ich passe im Moment auf ihn auf. Dr. Chazy meinte zwar, dass er nichts hat, aber letztendlich hatte doch Kommissar Adamsberg recht.«
    »Zur Sache, Brigadier«, sagte Émeri ungeduldig. »Mein Essen wird kalt.«
    »Flem schaffte es immer noch nicht aufzustehen, und heute Abend hat er Blut gespuckt. Ich hab ihn zum Tierarzt gebracht, und der hat innere Verletzungen festgestellt. Seiner Meinung nach ist Flem in den Bauch getreten worden, mit Fußtritten also. Und in dem Fall hätte Adamsberg recht, Léo ist wohl doch überfallen worden.«
    »Verschonen Sie mich mit Adamsberg, wir können unsere Schlüsse alleine ziehen.«
    »Verzeihung, Capitaine, es ist nur, weil er das gleich gesagt hat.«
    »Der Tierarzt ist sich seiner Diagnose absolut sicher?«
    »Sicher. Er ist bereit, eine Aussage zu unterschreiben.«
    »Bestellen Sie ihn für morgen zu einem frühen Termin. Haben Sie sich nach Léo erkundigt?«
    »Sie liegt immer noch im Koma. Dr. Merlan rechnet damit, dass sich das innere Hämatom zurückbilden wird.«
    »Rechnet er wirklich damit?«
    »Nein, Capitaine. Nicht wirklich.«
    »Haben Sie schon zu Abend gegessen, Blériot?«
    »Ja.«
    »Dann kommen Sie in einer halben Stunde zu mir.«
    Émeri warf sein Telefon auf das weiße Tischtuch und setzte sich finster wieder vor seinen Teller. Er hatte zu Blériot, der älter war als er, eine widersprüchliche Beziehung.Er verachtete ihn, und seine Ansichten interessierten ihn in keiner Weise. Blériot war nur ein simpler Brigadier, dick, devot und ungebildet. Gleichzeitig machten ihn sein umgängliches Temperament – Émeri hielt ihn für gutmütig –, seine Geduld, die man mit Dummheit verwechseln konnte, und seine Diskretion zu einem nützlichen und unbedenklichen Vertrauten. So dirigierte Émeri ihn mal wie einen Hund, mal behandelte er ihn wie einen Freund; einen Freund, der speziell die Aufgabe hatte, ihm zuzuhören, ihn zu bestätigen und zu ermutigen. Er arbeitete mit ihm seit sechs Jahren.
    »Es sieht nicht gut aus, Blériot«, sagte er zu dem Brigadier, als er ihm die Tür öffnete.
    »Für Léone?«, fragte Blériot, während er sich auf dem Empire-Stuhl niederließ, der für ihn bereitstand.
    »Für uns. Für mich. Durch meine Schuld ist der ganze Anfang der Ermittlung im Arsch.«
    Unter Berufung auf die Tatsache, dass Marschall Davout berühmt war für sein rüdes Vokabular, das er sozusagen aus den Revolutionsjahren mitgebracht hatte, war Émeri nicht sehr um eine gepflegte Ausdrucksweise bemüht.
    »Wenn Léo überfallen wurde, Blériot, dann ist auch Herbier umgebracht worden.«
    »Warum sehen Sie da eine Verbindung, Capitaine?«
    »Alle Leute sehen sie. Denk mal nach.«
    »Und was sagen alle Leute?«
    »Dass sie eine Menge wusste über Herbiers Tod, so wie Léo ja über alles und jeden immer eine Menge weiß.«
    »Léone ist kein Klatschweib.«
    »Aber sie ist ein heller Geist, sie ist ein Gedächtnis. Leider hat sie mir nichts anvertraut. Das hätte ihr vielleicht das Leben gerettet.«
    Émeri öffnete die Bonbonniere, die mit Lakritze gefüllt war, und schob sie zu Blériot hin.
    »Da kommt was auf uns zu, Brigadier. Ein Typ, der einealte Dame zu Boden schlägt, ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Mit anderen Worten, ein Barbar, ein Dämon, den ich seit Tagen frei herumlaufen lasse. Was erzählt man sich noch in der Stadt?«
    »Ich sagte doch, Capitaine. Ich weiß es nicht.«
    »Das stimmt nicht, Blériot. Was sagt man über mich? Dass ich meine Arbeit nicht ordentlich

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