Die Nacht des Zorns - Roman
Sie ihnen in kurzen Worten, was das Wütende Heer ist.«
»Ich bin nicht damit einverstanden, dass wir uns in diese Sache reinhängen«, knurrte der Commandant. »Sie haben bei der Übernahme dieses Falls auf die eine oder andere Weise Ihre Hand im Spiel gehabt, erzählen Sie mir, was Sie wollen. Und ich bin dagegen, absolut dagegen.«
Danglard hob die Hände zum Zeichen der Verweigerung, wobei er sich fragte, woher dieser Widerwille gegen den Fall Ordebec in ihm rührte. Er hatte schon zwei Mal von Hellequins Armee geträumt, seit er sie Zerk und Adamsberg mit solchem Wohlgefallen beschrieben hatte. In seinen Träumen allerdings war keine Spur mehr von Wohlgefallen gewesen, dort schlug er sich mit der dunklen Vorahnung herum, dass er in sein Verderben rannte.
»Erzählen Sie trotzdem«, sagte Adamsberg und beobachtete seinen Stellvertreter mit großer Aufmerksamkeit, denn er erkannte die Angst in seinem Rückzug. Selbst bei Danglard, der überzeugter Atheist und über jeden Mystizismuserhaben war, konnte der Aberglaube auf ziemlich breiter Front einbrechen, indem er die immer weit geöffneten Pforten seiner Ängste nutzte.
Der Commandant zuckte mit den Schultern in scheinbarer Selbstsicherheit und stand auf, wie er es immer zu tun pflegte, um den Mitarbeitern der Brigade die Situation im Mittelalter darzulegen.
»Fassen Sie sich kurz, Danglard«, bat Adamsberg ihn. »Die Texte müssen Sie nicht zitieren.«
Sinnlose Empfehlung, Danglards Darstellung dauerte geschlagene vierzig Minuten und war für die Beamten eine unterhaltsame Abwechslung in der bedrückenden Wirklichkeit der Clermont-Affäre. Nur Froissy verschwand für einen Moment, um ein paar Kekse und ein wenig Pastete zu essen. Verständnisvolles Kopfnicken hier und da, man wusste, dass sie ihr Versteck kürzlich mit einem Vorrat an köstlichen Terrinen aufgefüllt hatte, etwa einer Hasenleberpastete mit Austernseitlingen, die so manchem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Als Froissy sich wieder an den Tisch setzte, standen die Mitarbeiter der Brigade bereits völlig im Bann von Danglards Beredsamkeit und vor allem des unheimlich beeindruckenden Schauspiels von Hellequins Armee – unheimlich im ursprünglichen Sinne, wie der Commandant betonte, das heißt furchteinflößend.
»Hat diese Lina den Jäger ermordet?«, fragte Lamarre. »Wird sie alle hinrichten, die sie in ihrer Vision erkannt hat?«
»Also gehorcht sie irgendeiner Macht?«, fügte Justin hinzu.
»Vielleicht«, schaltete Adamsberg sich ein. »Man sagt in Ordebec, die gesamte Familie Vendermot sei verrückt. Aber alle Bewohner dort stehen unter dem Bann der Armee. Die treibt sich schon seit sehr langer Zeit in der Gegend herum, und es sind nicht ihre ersten Opfer. Niemand fühlt sich wohl mit dieser Legende, und viele Leute fürchten sie tatsächlich. Wenn ein weiteres von den bezeichnetenOpfern stirbt, kriegt die Stadt einen Koller. Und erst recht, was das vierte Opfer angeht, das keinen Namen hat.«
»So dass viele sich als das vierte Opfer sehen können«, schlussfolgerte Mordent, während er sich Notizen machte.
»Alle, die sich an etwas schuldig fühlen?«
»Nein, die es tatsächlich sind«, präzisierte Adamsberg. »Betrüger, Dreckskerle, Mörder, die nie verdächtigt wurden und straflos blieben, sie alle fürchten das Erscheinen der Hellequin-Truppe weit mehr als eine Polizeikontrolle. Weil sie überzeugt sind, dass er, Hellequin, alles weiß, alles sieht.«
»Das ganze Gegenteil von dem, was man von uns Bullen denkt«, meinte Noël.
»Mal angenommen«, sagte Justin, der immer alles ganz genau wissen wollte, »einer fürchtet, das vierte der von diesem Hellequin benannten Opfer zu sein. Der vierte ›Ergriffene‹, wie Sie sagen. Man begreift nicht, was er davon hat, wenn er die anderen ›Ergriffenen‹ tötet.«
»Doch«, erklärte Danglard, »denn eine weitere Überlieferung, die allerdings nicht von allen geteilt wird, besagt, wer Hellequins Absichten ausführt, kann vor seinem eigenen Schicksal bewahrt bleiben.«
»Im Tausch für seine guten Dienste«, kommentierte Mordent, der sich als Sammler von Märchen und Legenden immer wieder seine Notizen zu dieser Geschichte machte, die er noch nicht kannte.
»Ein belohnter Kollaborateur, sozusagen«, meinte Noël.
»Der Gedanke steckt dahinter, ja«, bestätigte Danglard. »Aber er ist jüngeren Datums, er kommt erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Die andere gefährliche Hypothese ist, dass jemand, der sich zwar
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