Die Nacht des Zorns - Roman
Commandant.«
19
Fünf Kilometer vor Ordebec, in dem kleinen Dorf Charny-la-Vieille, verlangsamte Adamsberg die Fahrt.
»Bevor wir nach Ordebec reinfahren, Danglard, habe ich noch was zu erledigen. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie hier auf mich warten, in einer halben Stunde hole ich Sie wieder ab.«
Danglard nickte.
»Dann weiß ich von nichts und werde auch nicht in die Sache hineingezogen.«
»So ungefähr.«
»Nett von Ihnen, dass Sie mich schützen wollen. Aber als Sie mich baten, den gefälschten Bericht zu schreiben, haben Sie mich bereits bis zum Hals in Ihren Deal mit hineingezogen.«
»Niemand hatte Sie gebeten, Ihre Nase da reinzustecken.«
»Es ist mein Job, Leitplanken auf Ihren Weg zu stellen.«
»Sie haben mir nicht geantwortet, Danglard. Setze ich Sie hier ab?«
»Nein. Ich fahre mit Ihnen.«
»Was jetzt kommt, wird Ihnen vermutlich nicht gefallen.«
»Mir gefällt schon Ordebec nicht.«
»Da haben Sie aber unrecht, es ist nämlich wunderhübsch. Wenn man auf den Ort zufährt, sieht man die große Kirche oben auf dem Hügel und das kleine Städtchen zu ihren Füßen, die aus Holz und Lehm gebauten Häuser, das wird Ihnen gefallen. Die Felder ringsum sind in allen erdenklichenGrüntönen gemalt, und auf dieses Grün hat man eine Menge regloser Kühe gestellt. Ich habe keine einzige Kuh sich bewegen sehen, ich frage mich, wie das möglich ist.«
»Man muss sie eben sehr lange betrachten.«
»Sicher.«
Adamsberg erkannte die von Madame Vendermot beschriebenen Orte, das Haus der Nachbarn Hébrard, das Bigard-Wäldchen, die alte Mülldeponie. Ohne anzuhalten, fuhr er an Herbiers Briefkasten vorbei und noch hundert Meter weiter, dann bog er links auf einen holprigen Feldweg ein.
»Wir fahren von hinten ran, durch den kleinen Wald.«
»Wo ran?«
»An das Haus, in dem der erste Tote gewohnt hat, der Jäger. Wir machen schnell und kein großes Aufheben.«
Adamsberg nahm die letzten Meter über einen kaum befahrbaren Pfad und hielt im Schutz der Bäume. Rasch ging er um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum.
»Du hast es überstanden, Mo, gleich bist du an der frischen Luft. Die Hütte liegt dreißig Meter von hier durchs Gehölz.«
Danglard schüttelte schweigend den Kopf, als er den Jungen aus dem Kofferraum steigen sah. Er hatte ihn irgendwo in den Pyrenäen vermutet, oder schon im Ausland mit falschen Papieren, so weit, wie es mit Adamsberg gekommen war. Aber es war ja viel schlimmer. Momo sozusagen im Handgepäck mit sich zu führen erschien ihm noch unvernünftiger.
Adamsberg brach die Siegel auf, stellte Momos Gepäck ab und besichtigte hastig das Haus. Ein helles Wohnzimmer, ein kleiner, fast aufgeräumter Schlafraum und eine Küche, von der aus man ins Grüne sah und auf sechs oder sieben Kühe.
»Schön ist es hier«, sagte Mo, der erst ein Mal in seinem Leben und nur sehr kurz auf dem Land gewesen war, undnoch nie am Meer. »Ich kann Bäume sehen, den Himmel und Felder. Scheiße«, sagte er plötzlich, »sind das Kühe? Da drüben?«, fügte er hinzu und drückte sein Gesicht an die Scheibe.
»Weg vom Fenster, Mo. Ja, das sind Kühe.«
»Scheiße.«
»Hast du noch nie welche gesehen?«
»Nie in echt.«
»Du wirst alle Zeit haben, sie zu betrachten, ja sogar sich bewegen zu sehen. Aber bleib einen Meter vom Fenster entfernt. Abends machst du natürlich kein Licht an. Und wenn du eine rauchst, setzt du dich auf den Boden, eine glimmende Zigarette sieht man aus großer Entfernung. Du kannst dir was Warmes zu essen machen, der Herd ist vom Fenster aus nicht zu sehen. Und waschen kannst du dich auch, das Wasser wurde nicht abgestellt. Zerk wird in Kürze mit ein paar Vorräten hier sein.«
Mo lief durch sein neues Zuhause, ohne bei dem Gedanken an sein Eingeschlossensein allzu große Angst erkennen zu lassen, wobei sein Blick immer wieder zum Fenster ging.
»Ich hab noch nie einen Typen wie Zerk getroffen«, sagte er, »ich hab noch nie einen Typen getroffen, der mir Buntstifte kauft, außer meiner Mutter. Aber den haben ja auch Sie großgezogen, Kommissar, klar, dass er dann so ist.«
Adamsberg fand, dies war nicht der Augenblick, Mo zu erklären, dass er von seinem Sohn erst seit wenigen Wochen etwas wusste, wie es auch sinnlos war, so früh seine Illusionen zu zerstören, indem er ihm erzählte, dass er Zerks Mutter mit bodenloser Unbekümmertheit im Stich gelassen hatte. Das Mädchen hatte ihm geschrieben, er hatte den Brief kaum gelesen, er hatte nichts
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