Die Nacht des Zorns - Roman
geahnt.
»Und weiß Gott, wie gut er ihn erzogen hat«, bestätigte Danglard, der in Sachen Vaterschaft keinen Spaß verstand und Adamsberg in dieser Hinsicht für unter aller Würde befand.
»Ich werde hinter dir die Siegel wieder anbringen. Benutz das Telefon nur im alleräußersten Notfall. Selbst wenn du dich langweilst wie eine Ratte, ruf keinen Menschen an, werd nicht schwach, deine sämtlichen Bekannten werden abgehört.«
»Kein Problem, Kommissar. Es gibt ja viel zu sehen. Und dann alle diese Kühe. Ich zähle mindestens zwölf. Im Knast würden mir zehn Jungs auf der Pelle sitzen, und ich hätte kein Fenster. Mir alle diese Kühe und Bullen allein anschauen zu können ist schon ein Wunder.«
»Bullen sind nicht darunter, Mo, man lässt sie nie gemeinsam weiden, außer in der Zeit des Deckens. Es sind alles Kühe.«
»Ach so.«
Adamsberg vergewisserte sich, dass das Wäldchen verlassen lag, dann verabschiedete er sich von Mo und öffnete lautlos die Tür. Er nahm eine Wachspistole aus der Tasche und brachte in aller Ruhe die Siegel wieder an. Danglard sah sich nervös um.
»Ich mag so was überhaupt nicht«, murmelte er.
»Später, Danglard.«
Wieder auf der Hauptstraße, rief Adamsberg Capitaine Émeri an, um ihm mitzuteilen, dass er gleich in Ordebec eintreffen werde.
»Vorher fahre ich noch beim Krankenhaus vorbei«, sagte er.
»Sie wird dich nicht erkennen, Adamsberg. Kann ich euch zum Abendessen erwarten?«
Adamsberg sah zu Danglard hin, der den Kopf schüttelte. In seinen schlechten Gemütsphasen, und Danglard machte zweifellos eine durch, die umso bedrückender war, als es keinen rechten Grund dafür gab, half der Commandant sich damit, dass er sich Tag für Tag kleine begehrenswerte Ziele setzte, etwa die Auswahl eines neuen Anzugs, den Kauf eines antiquarischen Buchs oder ein erlesenes Essenim Restaurant, so dass jede depressive Phase auf diese Weise gefährliche Löcher in sein Budget riss. Danglard sein Abendessen in der
Rasenden Wildsau
nehmen, das er minutiös vorbereitet hatte, hieß das schwache Licht ausblasen, das er für den heutigen Tag angezündet hatte.
»Ich habe meinem Sohn ein Abendessen in der
Rasenden Wildsau
versprochen. Kommen Sie doch dazu, Émeri.«
»Sehr gutes Lokal, aber auch sehr schade«, antwortete Émeri trocken. »Ich hoffte, euch die Ehre meiner Tafel zuteil werden zu lassen.«
»Ein andermal, Émeri.«
»Ich glaube, wir haben da eine empfindliche Saite bei ihm berührt«, kommentierte Adamsberg, als er aufgelegt hatte, ein wenig überrascht, da er über die Neurose, die den Capitaine durch eine anspruchsvolle Nabelschnur mit seinem Empire-Speisezimmer verband, noch nicht aufgeklärt war.
Vor dem Krankenhaus traf er, wie verabredet, mit Zerk zusammen. Der junge Mann hatte alle Einkäufe schon erledigt, Adamsberg umarmte ihn zur Begrüßung und ließ dabei die Wachspistole, das Siegel und den Lageplan von Herbiers Hütte in seine Tasche gleiten.
»Wie hast du das Haus vorgefunden?«, fragte Zerk.
»Sauber. Die Gendarmen haben alles Wildbret weggeräumt.«
»Was mache ich mit der Taube?«
»Sie ist gut untergebracht, sie erwartet dich.«
»Ich spreche nicht von Mo, sondern von Hellebaud. Er ist seit Stunden im Auto und mag das überhaupt nicht.«
»Nimm ihn mit«, sagte Adamsberg nach kurzer Überlegung. »Übergib ihn Mo, dann hat er jemanden, der ihm Gesellschaft leistet, jemanden, mit dem er reden kann. Er will sich die Kühe angucken, aber die bewegen sich hier ja nicht.«
»War der Commandant dabei, als du die Taube abgesetzt hast?«
»Ja.«
»Wie hat er’s aufgenommen?«
»Ziemlich übel. Er denkt immer noch, dass es eine Straftat und der blanke Wahnsinn ist.«
»Ach, wirklich? Dabei ist es doch eher vernünftig«, meinte Zerk und nahm seine Einkaufsbeutel hoch.
20
»Wie klein sie aussieht, was?«, sagte Adamsberg leise zu Danglard, als er mit Ergriffenheit Léones neues Gesicht auf dem Kissen betrachtete. »Dabei ist sie im Leben sehr groß. Auf jeden Fall größer als ich, wenn sie nicht gebeugt steht.«
Er setzte sich auf den Rand des Bettes und legte seine beiden Hände auf ihre Wangen.
»Léo, ich bin wieder da. Ich bin der Kommissar aus Paris. Wir haben zusammen zu Abend gegessen. Es gab Suppe und Kalbsbraten, und danach haben wir einen Calva getrunken vor dem Holzfeuer und eine Havanna geraucht.«
»Sie rührt sich nicht mehr«, sagte der Arzt, der soeben ins Zimmer getreten war.
»Wer kommt sie besuchen?«, fragte
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