Die Nacht des Zorns - Roman
besser. Ich hätte Léo nicht gern belogen. Von dem Augenblick an, wo sie sprechen wird«, sagte Adamsberg, zu Émeri gewandt, »halte ich es für klug, einen Posten vor ihre Zimmertür zu stellen.«
»Du lieber Gott, Adamsberg, haben Sie gesehen, wie viele Leute ich hier habe? Ihn und noch einen halben anderen, derseinen Dienst zwischen Ordebec und Saint-Venon teilt. Einen halben Mann in jeder Hinsicht. Halb schlau, halb beschränkt, halb gefügig, halb cholerisch, halb schmutzig und halb sauber. Wie soll ich das bewerkstelligen?«
»Man könnte eine Überwachungskamera in ihrem Zimmer installieren«, schlug der Brigadier vor.
»Zwei Kameras«, sagte Danglard. »Eine, die jede hereinkommende Person aufnimmt, die andere an Léos Bett.«
»Sehr gut«, meinte auch Émeri. »Aber die Techniker dafür müssen aus Lisieux kommen, erwarten Sie nicht, dass die Anlage vor morgen 15 Uhr einsatzbereit ist.«
»Was den Schutz der beiden anderen Ergriffenen angeht«, fügte Adamsberg hinzu, »des Glasers und des Pflanzenzüchters, so können wir zwei Leute aus Paris herbeordern. Zunächst der Glaser.«
»Ich habe mit Glayeux schon darüber gesprochen«, sagte Émeri und schüttelte den Kopf, »er lehnt jede Überwachung strikt ab. Ich kenne den Kerl, er würde sich sehr gedemütigt fühlen, wenn man glaubte, die Hirngespinste der Vendermot-Tochter würden ihn beeindrucken. Das ist keiner, der den Kopf einzieht.«
»Couragiert?«, fragte Danglard.
»Eher gewalttätig, kampflustig, dabei sehr gut erzogen, einfallsreich und ohne jeden Skrupel. Sehr talentiert in seiner Glaskunst, das muss man ihm lassen. Er ist kein sympathischer Mensch, das sagte ich Ihnen schon, Sie werden selber sehen. Und das sage ich nicht, weil er homosexuell ist, aber er ist homosexuell.«
»Weiß man das in Ordebec?«
»Er verbirgt es nicht, sein Freund wohnt auch hier, er arbeitet bei der Zeitung. Das ganze Gegenteil von Glayeux, sehr zuvorkommend, sehr beliebt.«
»Leben sie zusammen?«, fragte Danglard weiter.
»O nein. Glayeux wohnt mit Mortembot zusammen, dem von der Baumschule.«
»Die beiden nächsten Opfer des Wütenden Heers leben unter einem Dach?«
»Seit Jahren. Sie sind Cousins und unzertrennlich seit ihrer Jugend. Aber Mortembot ist nicht homosexuell.«
»War Herbier es auch?«, fragte Danglard.
»Sie denken an eine homophobe Mordserie?«
»Könnte man in Erwägung ziehen.«
»Herbier war nicht homosexuell, ganz bestimmt nicht. Eher ein bestialischer Hetero mit einem Hang zum Vergewaltiger. Vergessen Sie nicht, es war Lina, die die ›ergriffenen‹ Opfer benannt hat. Und ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass sie irgendwas gegen Schwule hätte. Lina führt, wie soll ich sagen, in sexueller Hinsicht ein eher freizügiges Leben.«
»Wahnsinnsbusen«, meinte der Brigadier. »Zum Reinbeißen.«
»Ist ja gut, Blériot«, sagte Émeri, »diese Art Kommentar bringt uns nicht weiter.«
»Alles zählt«, sagte Adamsberg, der wie sein Sohn seine Haltung bei Tisch für einen Moment vergaß und sein Brot in die Soße tunkte. »Émeri, da die von der Armee bezeichneten Opfer, wie es heißt, boshafte Menschen sind, würde das auch auf den Glaser und seinen Cousin zutreffen?«
»Es trifft nicht nur perfekt zu, es ist auch allgemein bekannt.«
»Was wirft man ihnen vor?«
»Zwei Vorkommnisse, die nie aufgeklärt wurden. Keine meiner Ermittlungen kam zu einem Ergebnis, ich habe getobt. Wollen wir uns zum Kaffee vielleicht an einen anderen Ort begeben? Sie haben hier einen kleinen Salon, in dem ich das Privileg genieße, rauchen zu dürfen.«
Beim Aufstehen sah der Capitaine noch einmal zu Zerk hin, der ein altes, ausgeleiertes T-Shirt trug, er schien sich zu fragen, was Adamsbergs Sohn hier wohl suchte.
»Arbeitet dein Junge mit dir?«, fragte er, während er zumkleinen Salon hinüberging. »Will er Bulle werden, oder was?«
»Nein, er schreibt eine Reportage über faule Blätter, und da war das hier die Gelegenheit. Für eine schwedische Zeitung.«
»Faule Blätter? Die Presse, meinst du? Die Zeitungen?«
»Nein, die Blätter im Wald.«
»Es geht um den bei der Zersetzung von Pflanzen sich entwickelnden Mikrokosmos«, bemerkte Danglard, um dem Kommissar zu Hilfe zu kommen.
»Ah, so«, sagte Émeri und wählte einen sehr geraden Stuhl, um sich zu setzen, während die vier anderen Männer auf den Sesseln Platz nahmen.
Zerk reichte seine Zigaretten herum, und Danglard bestellte eine weitere Flasche Wein. Sich zu fünft zwei
Weitere Kostenlose Bücher