Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
uneben, und ich trete in ein Loch in der Furche und danach auf den hohen Rand und komme ins Stolpern.
»Wohin gehen wir?«, zische ich genervt, als ich schwankend und keuchend stehen bleibe. Der Weg durch das Dunkel ist beschwerlich. »Ich dachte, wir hätten heute etwas Besonderes vor.«
Dieser Dunkelmond ist nicht der richtige , sagt der Drache. Wir können noch nicht zur Tat schreiten.
Ich schnaube. »Klingt in meinen Ohren wie eine ziemlich lahme Ausrede.«
Der Drache verstärkt seinen Griff auf meiner Schulter, bis ich seine Klauen sogar durch den Mantel spüre.
»Gut. Dann erzähl mir von dem tollen Plan, den du mitten auf diesem Feld in stockdunkler Nacht verfolgst!«
So bringst du mich nicht dazu, dir etwas Wichtiges zu verraten , erwidert der Drache pikiert und deutet damit an, dass man Drachen einen gewissen Respekt schuldet, ganz gleich, ob man knöcheltief im Matsch steht oder nicht. Jeder Wunsch folgt einem Zweck , lässt sich der Drache schließlich vernehmen. Der Zweck ist der Same eines jeden Plans.
»Tja, du bist ein echter Drache, weil ich mir das gewünscht habe. Das war der Zweck des Wunsches. Was ein Plan damit zu tun hat, weiß ich allerdings nicht, außer, der Plan wäre das Gleiche wie der Zweck …«
Der Drache gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich ein Riesenrindvieh bin.
»Na gut, dann … Weil ich mir gewünscht habe, dass es dich gibt, besteht dein Zweck also darin, Pläne auszubrüten?«, frage ich mürrisch. »Bei Hühnern weiß man wenigstens, was hinterher aus dem Ei schlüpft.«
Ein Teil meiner Aufgabe – und der Hauptbestandteil unseres Vertrages – besteht darin, dir nur so viel zu verraten, wie gut für dich ist. Du musst mir vertrauen. Du hast mich herbeigewünscht, und hier bin ich.
Ich verdrehe die Augen, trotte aber weiter durch die Furche. »Du gibst mir keinen einzigen Hinweis, sondern erzählst nur diesen rätselhaften …« – Blödsinn, will ich sagen, aber der Drache scheint meine Gedanken zu lesen, und seine Verachtung wächst noch weiter – »… Firlefanz?«, beschließe ich den Satz und versuche, dabei so höflich und versöhnlich zu klingen, wie es möglich ist, wenn man in einer mondlosen Nacht über ein Feld stolpert.
Hand ausstrecken , befiehlt der Drache.
Ich ertaste Baumrinde.
Vorsichtig weitergehen.
Hohe Gräser streifen meine Beine, der Boden ist glitschig von Moderlaub. In meinem Haar hängen Zweige, dünn und kalt, als wäre ich in der Schwärze ins Wasser getaucht, als würden sich die langen, an den Kanälen des Marschlandes wachsenden Schilfhalme nach mir recken, um mein Gesicht zu streicheln.
Hier können wir anhalten.
Ich verharre mitten zwischen den Bäumen. Die Äste hegen mich im Dunkeln ein. »Worauf warten wir?«, flüstere ich. »Ich kann nichts sehen!«
Nein , sagt der Drache. Das kannst du nicht.
»Und was soll ich dann hier?«
Du bist nicht hier, um etwas zu sehen.
»Aber dann …«, setze ich an und begreife, bevor ich die Frage ganz ausgesprochen habe. Ich spüre die Zufriedenheit des Drachen.
Ich kann rechts von mir Wasser hören und riechen. Links ertönt ein Rascheln. Ein Fauchen. Ein Kreischen. In den Gräsern wird gekämpft.
Irgendetwas gleitet über mich hinweg. Ich höre Schwingen, kräftig und mit dichtem Gefieder, die fast lautlos schlagen, die Luft gleichsam streicheln, daran zupfen, als wäre sie aus spinnwebfeiner Seide, ohne dass ein Faden gedehnt wird. Die auf meiner Wange liegenden Zweige bewegen sich sanft, ja fast zärtlich, während der Vogel über mich hinwegfliegt, und kommen dann wieder zur Ruhe.
Ich öffne den Mund und schmecke die Luft. Von dem hinter mir liegenden Feld mit herbstlichen Ackerfrüchten dringt ein reicher, würziger Duft zu mir herüber. Ein Geschmack nach Eisen und tiefem, üppigem Grün. Nach Gräsern, während des Sommers lang und golden und nun erschlaffend. Dann mischt sich ein schwüler, feuchter Geschmack hinein: der Geschmack der Feuchtigkeit, die den Stängeln die letzten, schwachen Kräfte raubt, sie weich und faserig werden lässt. Ich rieche säuerliche Brombeeren und süßes Obst, habe den vielschichtigen, geheimnisvollen Geschmack von Quitten auf der Zunge. Äste bewegen sich knackend, brechen und splittern. Überall in der Finsternis bewegen sich Dinge, atmen die Farben der Luft.
Mich erfüllt eine so tiefe Freude, dass ich mich leicht fühle, frei und wild wie die mich umgebende Nacht. Im Dunkeln entfallen alle Beschränkungen und
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