Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
mich bei dieser Vorstellung. »Zu nass«, sage ich.
»Wir sollten ein paar Filme holen. Um Onkel Ben aufzuheitern.«
»Und um ihn abzulenken?«
Paul lächelt. »Na los, zieh dich warm an.«
Unterwegs kann ich Paul ansehen, dass er genauso dringend aufgeheitert werden müsste wie Onkel Ben. Dies wäre der passende Moment, um endlich zu fragen, was sie während ihrer nächtlichen Ausflüge tun, aber ich kann nicht. Oder mag nicht. Als wüsste ich auf einmal nicht mehr, welche Antwort ich hören will.
»Vielleicht sollten wir eine Freundin für Onkel Ben finden. Was meinst du?«, frage ich stattdessen.
Paul schenkt mir ein Grinsen, und es ärgert und erleichtert mich zugleich, dass ich die Gelegenheit für andere Fragen verpasst habe. »Amy hat schon wieder Anatevka geguckt, was? ›Kupplerin, Kupplerin, verkuppele mich‹«, singt er, und dann muss er lachen.
Ich verdrehe die Augen, versuche zu verdrängen, dass ich gerade eine goldene Gelegenheit verschenkt habe, und bin zugleich erleichtert, nichts Belastendes erfahren zu haben. Nichts Gefährliches. »Onkel Ben ist total nett. Er verdient jemanden, der ihn liebt und nur für ihn da ist, meine ich.«
Pauls Lächeln weicht langsam, erst aus dem Mund, dann aus den Augen. »Dein Onkel Ben ist ein wunderbarer Mann, Evie. Aber viele Leute … Tja, sie würden nicht unbedingt … ich will sagen …«
»Du willst sagen, dass Onkel Ben nicht hübsch genug ist.«
Das Auto kommt ein bisschen nach rechts ab, als Paul sich zu mir dreht. Er murmelt etwas und blickt dann wieder auf die Straße. Sein Lachen ist nur ein Brummen. »Genau das wollte ich sagen.«
»Er sieht aber nicht schlecht aus«, widerspreche ich. »Er ist schließlich weder dick noch kahl oder so. Er ist manchmal nur … etwas nachlässig. Wenn er öfter zum Friseur gehen und daran denken würde, seine Kleider zu bügeln, wenn er keine Sachen tragen würde, die farblich nicht zueinander passen … Er sieht nur dann komisch aus, wenn er die Stirn runzelt und ein Gesicht zieht oder schwer zerstreut ist. Wenn er mit mir zusammen ist, ist er immer fröhlich und lustig. Ich denke nie darüber nach, wie er gerade aussieht, also …«
Paul lächelt wieder. »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Evie. In deiner Gegenwart ist er immer fröhlich.«
Ich drehe mich zu Paul, zucke zusammen und lasse mich zurückfallen, frustriert wegen all der dummen Kleinigkeiten, die ich wegen meiner Rippen nicht tun kann. Insgesamt gesehen fällt das zwar kaum ins Gewicht, aber es ärgert mich, weil ich nicht in jeder Haltung sitzen und schlafen kann. Ich rufe mir seufzend in Erinnerung, dass alles anders wird, sobald meine Rippen richtig verheilt sind, und richte meine Gedanken wieder auf Onkel Ben.
»Er würde auch in Gegenwart eines Menschen lächeln, den er wirklich mag. Eines Menschen, der ihn glücklich macht. Du und Amy, ihr kennt doch sicher ein paar nette Singlefrauen. Ihr könntet eine zum Abendessen einladen, wenn Onkel Ben da ist … und noch einige andere Leute dazubitten, damit es nicht so offensichtlich ist.«
»Gute Idee, Evie«, sagt Paul ohne echte Begeisterung. »Aber ich glaube, Onkel Ben ist noch nicht so weit.«
»Meinst du?« Ich lasse nicht locker. »Wenn er eine richtig nette Frau kennenlernen würde …«
Paul seufzt. »Ich weiß, dass es Onkel Ben nicht anzumerken ist, Evie, zumal er in deiner Gegenwart fröhlich ist, aber so ist er nicht immer. Nicht im Beisein anderer Erwachsener. Ich glaube zwar nicht, dass er jemanden bewusst vor den Kopf stoßen würde, aber man spürt, ob ein anderer an einem Rendezvous überhaupt interessiert ist oder nicht.«
Ich verziehe aufsässig den Mund.
Paul bemerkt meine Miene und grinst. »Eines könnten wir allerdings tun. Sobald Onkel Ben auch nur ansatzweise auf das Thema Frauen, Rendezvous oder dergleichen zu sprechen kommt, schmeißen Amy und ich eine Party, zu der wir alle in Frage kommenden Frauen einladen. Wäre das nach dem Geschmack von Mademoiselle?«
Ich schaue ihn brummig an. »Man müsste Onkel Ben erst einmal dazu veranlassen, überhaupt einen Gedanken an ein Rendezvous zu verschwenden.«
Paul, der gerade einparkt, erwidert nichts. Als wir ausgestiegen sind, geht er rund um das Auto und legt mir einen Arm um die Schultern. »Ich sage ja nicht, dass du falschliegst, Evie, aber … Wir könnten allerdings ein paar romantische Komödien aussuchen. Wäre das nicht ein Wink mit dem Zaunpfahl?«
Ich zucke mit den Schultern und drücke
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