Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
ist. Er ist nur … Er bildet sich ein, einem Kumpel die Treue halten zu müssen, auch wenn der ziemlich ätzend drauf ist. Er redet immer davon, dass man andere nicht vorschnell verurteilen dürfe …«
»Blödsinn«, sagt Phee. Jenny starrt sie an. »Jeder fällt Urteile über jeden, und das die ganze Zeit. Wir ja auch. Wie kann man sonst seine Freunde auswählen? Wenn man jemanden für einen miesen kleinen Scheißer hält, dann will man nichts mit ihm zu tun haben.«
Jenny schürzt die Unterlippe, als würde sie schmollen, stets ein Zeichen dafür, dass sie nachdenkt. »Stimmt schon«, sagt sie dann. »Fred weiß nicht recht, was er von der ganzen Sache halten soll. Er meint, es wäre gemein, wenn er Sonny jetzt im Stich lassen würde, wo er so viel Ärger am Hals hat. Ich finde das irgendwie … süß. Und ob ihr es glaubt oder nicht: Fred kann echt süß sein.«
Zum Glück ertönt die Klingel, bevor Phee, Lynne oder ich etwas zum süßen Fred sagen müssen.
Schon wieder Handarbeit – das letzte Stündchen der Stiftrolle. Und hoffentlich auch das Ende von Mrs Pooles gefürchtetem Textilkurs, denn jetzt stehen die Prüfungen an.
Wir legen unsere Meisterwerke pflichtschuldig auf den Tisch und drehen danach eine Runde, um die Arbeiten der anderen zu bewundern. Einige zeigen kichernd auf meine Katastrophe aus schwarzem Gummi. Aber das ist mir egal, denn ich finde sie auch schrecklich. Mrs Poole geht mit einem Klemmbrett herum. Wir verkneifen uns ein Lachen (zumindest jene, denen Handarbeit nichts bedeutet – Lynne dagegen steht angespannt und ängstlich da), während Mrs Poole sich zur genauen Betrachtung der Reihe nach über die Stiftrollen beugt. Ihre Brille rutscht auf der Nase jedes Mal ein Stückchen tiefer, und als sie sie wieder hochschiebt, seufzen wir wie aus einem Mund. Phee und ich hatten um eine Packung Smarties gewettet, bei welcher Stiftrolle die Brille ganz abrutscht.
Im Anschluss versucht Mrs Poole, die Klasse über die Vorzüge der am besten benoteten Stiftrollen diskutieren zu lassen. Phee faltet die Arme auf dem Tisch und lässt ihren Kopf darauf sinken. Diese Haltung wäre zu unbequem für meine Rippen (ich kann mich immer noch nicht besonders gut bücken), und so sinke ich auf meinem Stuhl zurück und lasse meine Gedanken abschweifen.
Dann haben wir erfreulicherweise eine Brandschutzübung. Phee und Lynne vertreiben sich die Zeit damit, über jene Oberstufenschüler zu reden, mit denen sie knutschen, und jene, denen sie noch mehr erlauben würden. Sie haben ein richtiges System für das ausgearbeitet, was sie mit Jungen anstellen wollen, wenn sie fünfzehn oder sechzehn oder siebzehn sind … Als sie mich danach fragen, antworte ich, dass ich dazu erst mal einen Jungen finden müsste, der die ganze Mühe wert wäre.
Phee und Lynne kichern wie wild, als die Jungen aus der Oberstufe auf dem Weg zum Unterricht an ihnen vorbeitraben.
»Gefällt dir denn wirklich kein einziger, Evie?«, flüstert Lynne, nachdem ich nicht einmal den Jungen nennen konnte, der meiner Meinung nach den knackigsten Po hat.
Ich zucke mit den Schultern. »Nein.« Aber da wir in letzter Zeit so vertraut miteinander waren und weil ich auf keinen Fall das betonen möchte, was wir nicht gemeinsam haben, füge ich hinzu: »Warum sollte ich darüber nachdenken, wenn sich keiner von ihnen auch nur die Spur für mich interessiert? Ich finde das irgendwie deprimierend.«
Lynne seufzt. »Unfassbar, dass ich nächsten Monat fünfzehn werde und noch nie einen richtigen Freund hatte.«
»Ja, unfassbar, dass Jenny einen Freund hat, wir aber nicht«, erwidert Phee. »Andererseits ist sie mit Fred zusammen, und da werde ich nicht gerade grün vor Neid. Wenn wenigstens Marcus Gilman in unserem Jahrgang wäre …«
Als wir wieder in die Klasse kommen, ist die Stunde fast vorbei. Lynne fühlt sich ungerecht beurteilt und ist hungrig. Sie mag es nicht, dass wir Nähen so bescheuert finden. (»Da lernt man was fürs Leben, echt. Glaubt ja nicht, dass ihr euer Leben lang zu mir kommen könnt, wenn ihr einen losen Knopf habt oder etwas säumen müsst!«) Sie verschwindet nach der Stunde, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Phee verdreht die Augen.
»Ich frage mal, ob Mrs Poole irgendetwas zu essen für sie hat«, sage ich. »Erzähl Miss Winters, dass ich auf Klo bin. Dann kann sie nicht meckern.«
Mrs Poole, die Jenny gerade zur Stiftrolle gratuliert, lächelt nervös, als ich neben ihren Tisch trete. »Lynne geht es nicht
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