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Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Titel: Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexia Casale
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»Ich habe die Nase voll. Ich habe die Nase voll davon, dass alles immer so schwer ist. Alles und jedes. Ich habe die Nase voll davon, immer Stärke zeigen, die Zähne zusammenbeißen und weitermachen und alles ertragen zu müssen und … Ich habe die Nase so unendlich voll.«
    Nein , sagt der Drache herrisch und breitet die Schwingen aus. Nicht knallend wie ein plötzlich aufgespannter Regenschirm, sondern langsam, so langsam, wie sich an einer Blume neue Blütenblätter entfalten. Der Drache erstrahlt im Mondschein blau-weiß, seine Adern und Falten leuchten in einem zarten, in Purpur übergehenden Lila. Er breitet die Schwingen immer weiter aus, sie erzittern in der lauen Brise, die durch das stille Zimmer weht.
    Gemeinsam können wir Sterne versetzen. Du musst dir nur das Richtige wünschen. Du musst dir deines Herzenswunsches bewusst werden. Darum bin ich bei dir. Um jenen Wunsch zu erfüllen, der mich herbeigerufen hat.
    Der Drache senkt seine Schwingen wie in Zeitlupe, faltet sie wieder an den Körper und hockt sich auf die Unterschenkel.
    Die heutige Nacht ist ein anderer Fall. Die heutige Nacht ist eine Nacht der Schwäche, aber sie ist notwendig, damit wir unsere Kräfte wieder sammeln können. Es ist nicht immer eine Schande, nachzugeben oder zu verzweifeln, vorausgesetzt, es geht vorüber. Das Nachgeben kann eine Wohltat für die Seele sein.
    Ich setze den Drachen auf meine Hände und ziehe ihn vor die Brust. Dann drücke ich die zusammengelegten Hände auf die schmerzende Stelle und krümme mich, bis meine Stirn auf den Knien liegt, weine, bis alles vor meinen Augen weiß vor Erschöpfung ist. Als ich seitwärts auf das Bett kippe und den kühlen Stoff auf der brennenden Stirn spüre, falle ich in einen tiefen Schlaf, bevor ich noch einen Gedanken fassen kann.
    »Evie, mein Liebes?«, sagt Amy und lässt sich auf den Stuhl neben mir sinken.
    »Hm?«, brumme ich, in meine Hausaufgaben vertieft.
    »Darf ich kurz mit dir reden?«
    Ihr Unterton lässt mich aufhorchen. »Brauchst du Hilfe beim Abendessen?«, frage ich wider besseres Wissen.
    »Schätzchen«, sagt sie und überhört meine Frage. Sie greift nach meiner Hand und fährt fort: »Ich habe versprochen, dir deinen Freiraum zu lassen, ja … Und Paul wird mir sicher vorwerfen, rumzuschnüffeln …« – ihr Blick zuckt zum Fenster, denn Paul wässert das Blumenbeet vor dem Haus – »… aber du sollst wissen, dass du mit uns über alles reden kannst, wenn du möchtest. Falls dich etwas belastet, falls du etwas brauchst … Du weißt, dass du uns alles sagen kannst, nicht wahr?«
    »Ich bin okay«, erwidere ich kurz und wende den Blick von ihrer besorgten Miene ab.
    »Ich frage nur, weil ich vorhin, als ich deine Bettwäsche wechseln wollte, ein komisches Geräusch gehört habe – ein Piepen wie von einem Apparat. Ich weiß natürlich, dass wir erst gestern alles überprüft haben, aber … Aber du hast während der letzten Wochen so geheimnisvoll getan. Und als ich angeklopft habe, scheinst du etwas versteckt zu haben.«
    Ich seufze tief und zupfe an einem Faden, der sich unten am Ärmel gelöst hat.
    »Ich möchte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Ob dein Geheimnis ungefährlich ist«, sagt Amy und reißt den Faden für mich ab. »Anfangs hast du auf der Trittleiter gestanden und oben im Schrank gewühlt, und jetzt hantierst du offenbar mit Elektrogeräten und …« Sie besinnt sich, denn sie scheint gemerkt zu haben, dass sie immer lauter und immer schneller gesprochen hat. Sie holt Luft, und als sie ausatmet, spüre ich ihren warmen Atem auf der Wange.
    »Ich möchte nur wissen, ob ich dir helfen kann. Denn falls du noch ein Problem hast … irgendeines … eines wie deine Rippen«, stößt sie schließlich hervor, »falls es da etwas gibt, Evie, dann bringe ich das in Ordnung, mein Liebes. Das schwöre ich.« Sie klingt leicht verzweifelt. Ich bekomme ein flaues Gefühl im Magen. »Nicht wie der Prozess«, sagt Amy. »So wird es nicht sein, versprochen. Aber ganz gleich, was es ist, egal, was du brauchst, mein Liebes …« Sie drückt meine Hand eine Spur zu fest, und in ihrer Verzweiflung schwingen Schuldgefühle und die Bitte um Verzeihung mit.
    » Geht es um den Prozess?«
    Ich zucke beim Klang von Pauls Stimme zusammen.
    Er steht in der Tür, den Gartenschlauch in der Hand, aus dessen Düse Wasser auf seine Schuhe pladdert. »Die Sache war eine große Enttäuschung, ich weiß, und wir haben sie seither auf sich beruhen

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