Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
klirrend in Scherben geht. Ich beobachte, wie er umkehrt, im Matsch ausrutscht, auf die Knie sackt und danach die Flucht ergreift. Hinten auf dem Friedhof wird die Pforte scheppernd zugeknallt.
Die Männer mit den Kameras knipsen Taschenlampen an und lassen die Strahlen über den Boden gleiten, während sie sich der Stelle nähern, wo die Gruppe sich aufgehalten hat.
Wieder ein Blitzlicht. Und noch eines.
Ein Seufzer. »Die Flasche hat offenbar nichts beschädigt«, ruft einer der Männer.
Wieder ein Blitz.
»Nur ein paar Farbdosen und eine Taschenlampe. Sie hatten noch nicht richtig losgelegt«, sagt Onkel Ben.
Ich erkenne ihn im Schein der Taschenlampe, die der Kerl in Rot verloren hat.
Ich schaue erstarrt zu, wie Paul neben ihn tritt. Beide betrachten das Chaos zwischen den Gräbern.
»Wir sollten abhauen«, sagt Paul kurz darauf. »Vielleicht kommen sie doch wieder, um uns die Fotos abzunehmen. Das dürfen wir nicht riskieren.«
Aber sie machen keine Anstalten zu gehen.
»Fällt mir schwer, hier nicht aufzuräumen, aber es sind wohl Beweise«, seufzt Onkel Ben und lässt den Schein seiner Taschenlampe über den Boden wandern. »Du musst dem Vikar sagen, dass er bis zum Eintreffen der Polizei nichts anrühren darf. Und sag ihm bitte auch, dass ich die Kameras abgebe, damit man die Typen dingfest machen kann, und dass ich wieder herkommen werde, um alles in Ordnung zu bringen.«
Sie seufzen wie aus einem Mund.
»Na, dann«, sagt Paul.
Ich sehe ihnen nach, als sie davongehen. Der Schein ihrer Taschenlampen wird immer schwächer. Ich höre, wie die Autotüren zufallen und der Motor angelassen wird. Danach mache ich mich auf den Rückweg. Meine Füße sind gefühllos geworden, während ich vor der Pforte gehockt habe, und obwohl ich weiß, dass ich so schnell nach Hause rennen müsste, wie meine Beine mich tragen, kann ich nur lahm trotten.
Schließlich, endlich kann ich vom Wald aus den Garten sehen und … Ja! Kein Licht in der Küche! Weder Paul noch Onkel Ben stehen am Tisch unter meinem Fenster …
Ich habe gerade die vordersten Bäume erreicht, da höre ich, wie die Pforte geöffnet wird. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich werfe mich im Schatten der Berberitze auf den Boden.
Schritte auf den Steinplatten. Die Schritte zweier Personen. Ein dumpfes Scharren, als ein Stuhl unter dem Gartentisch hervorgezogen wird. Schlüssel klimpern, dann knirscht ein Türschloss, die Hintertür knarrt leise. Dann wieder Schritte und das Zischen, mit dem eine Flasche geöffnet wird. Noch ein Zischen. Ich höre, wie angestoßen wird.
»Ein Erfolg wider Erwarten!«, ruft Onkel Ben.
»Und der Sieg der Hoffnung über die Erfahrung«, setzt Paul leicht zerknirscht hinzu, obwohl ich Stolz aus seinen Worten heraushören kann. »Darf die Polizei die Fotos überhaupt verwenden? Bist du sicher, dass sie als Beweismittel gelten können?«
»Du zerbrichst dir ausgerechnet jetzt darüber den Kopf?«
»Ich will nur nicht zu früh jubeln …«
»Du bist offenbar schon viel zu lange mit meiner Schwester verheiratet, alter Freund. Sie scheint ansteckend zu sein. Ich weiß selbst, dass sie sich immer wieder in die unglaublichsten Sorgen hineinsteigert. Hoffentlich erweist Evie sich als ebenso immun dagegen wie ich.«
»Du meinst also immer noch, dass wir Amy nichts davon erzählen sollen? Nicht einmal jetzt, da alles vorbei ist?«
Onkel Ben stöhnt.
»Nein, bitte mal im Ernst, Ben«, sagt Paul gereizt. »Was, wenn die Polizei wegen der Sache bei uns anruft?«
»Die Polizei bekommt nur meine Nummer. Schau mal, Paul, ich weiß, dass dein Adrenalinspiegel noch ziemlich hoch ist«, sagt Onkel Ben kumpelhaft, »aber ich finde, du solltest jetzt Ruhe bewahren und dein Bier genießen.«
»Ich finde es trotzdem falsch, es Amy zu verheimlichen. Sie hat schließlich auch ein Recht …«
»Ja, sicher, aber darum geht es nicht, Paul. Hältst du es allen Ernstes für eine gute Idee, ihr zu erzählen, dass auf dem Friedhof, wo Adam, unsere Eltern und Minnie begraben liegen, Randalierer am Werke waren? Wenn du willst, dass Amy auf dem Friedhof ihr Zelt aufschlägt, um über Nacht die Gräber zu bewachen, dann los. Aber glaub ja nicht, dass das meine Zustimmung finden würde. Sie ist immerhin auch meine Schwester, und ich fände es gar nicht gut, wenn sie eine Lungenentzündung bekäme oder sich noch mehr Sorgen machen würde.«
Paul seufzt. Ich hebe ein klein wenig den Kopf und sehe, wie er einen tiefen Schluck aus der
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