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Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Titel: Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexia Casale
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lassen. Aber das muss nicht sein, Evie. Wir können zu einem anderen Anwalt gehen oder einen Detektiv engagieren. Nein, im Ernst, Evie«, sagt er, obwohl ich weder die Augen verdreht noch durch etwas anderes zu erkennen gegeben habe, dass ich das für eine dumme Idee halte. »Wir können das jederzeit tun. Wir möchten nur nicht, dass deine Enttäuschung wächst, weil es wieder nicht …« Er verstummt und holt tief Luft. »Wir können dir keine Erfolgsgarantie geben. Einen Versuch wäre es aber jederzeit wert, Evie. Wir können einen weiteren Anlauf unternehmen. So viele, wie du willst.«
    Amy drückt meine Hand. »Hast du deshalb im Schrank gekramt, Evie? Um die Akte zu lesen? Wir haben sie nicht weggelegt, weil wir aufgegeben hätten. Das weißt du, oder? Wir wollten … wir wollten nur … dass du eine Atempause bekommst, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Aber wir müssen nicht länger warten, mein Liebes. Gib uns Bescheid, wenn es weitergehen soll.«
    Ich öffne den Mund, weiß aber nicht, was ich erwidern soll, denn mein Kopf ist wie leer gefegt, vollkommen leer gefegt. Trotzdem muss ich etwas sagen, denn sie sollen nicht denken, dass ich nicht wüsste, dass sie für mich alle Hebel in Bewegung setzen würden. Ich weiß, dass sie ihr letztes Geld hergeben würden, wenn ich darum bitten würde, auch wenn das vollkommen sinnlos wäre. Sie haben alles getan, was brave, gesetzestreue Bürger tun können. Und es wäre falsch, ja gemein, wenn ich ihnen das Gefühl geben würde, das wäre nicht genug.
    Ich erwidere halb bewusst: »Ich habe die Fotos von Adam angeschaut.« Mir wird übel, sobald diese Wörter über meine Lippen gekommen sind.
    Beide starren mich an.
    »Wenn wir ihn am Todestag besuchen, erzählst du ihm alles, was im Laufe des Jahres geschehen ist«, sage ich und stolpere wegen meiner Bedrücktheit über die Wörter. »Aber ich … ich weiß so gut wie nichts über ihn.« Mein Schuldgefühl, schwer wie ein Mühlstein, drückt mich auf den Stuhl, und ich frage mich, ob ich unter diesem Gewicht je wieder aufstehen kann. »Ich wollte … ich wollte nur …«, japse ich, und meine Kehle ist so fest zugeschnürt, als hätte ich heißes, flüssiges Metall geschluckt. Ich spüre den brennenden Schmerz bis in meine Ohren.
    Schließlich blinzelt Paul. »Evie, Schätzchen, wie wäre es, wenn du uns eine schöne Tasse Tee kochst?«, fragt er mit sanfter Stimme. »Ich stelle rasch das Wasser ab, und danach holen wir alle Alben und betrachten die Fotos im Wohnzimmer.« Er spricht mit mir, aber sein Blick ruht auf Amy. Sie starrt die Geschirrspülmaschine an.
    Die Luft kommt mir dick und dunkel vor. Mein Kopf schwirrt vor Verzweiflung, und mein Herz hämmert immer heftiger, bis der Stuhl, auf dem ich sitze, und der Fußboden, auf dem der Stuhl steht, zu wanken beginnen. Unwirkliche Laute hallen in meinen Ohren. Unwirkliche Dinge regen sich am Rand meines Blickfelds.
    »Verzeihung«, flüstere ich.
    Amy taucht aus ihrer Versunkenheit auf und schaut mich an. Sie blinzelt kurz, und Tränen treten in ihre Augen. Dann lächelt sie – bemüht und schwach, aber sie lächelt. »Adam soll kein Geheimnis sein, Evie. Schon gar nicht vor dir.« Sie blinzelt wieder, muss husten. »Ich weiß auch nicht, warum wir die Fotoalben im Schrank verstecken.«
    »Ich …«
    Amy legt ihre warmen, weichen Hände auf meine Wangen. »Was würden wir nur ohne dich tun? Du gibst uns die Anstöße, die wir brauchen.« Sie drückt mir einen Kuss auf die Stirn, und plötzlich geht mir das Herz auf, und die Luft ist wieder leichter. Ich habe das Gefühl, aufgetaucht zu sein. »Ich bin sehr stolz auf dich. Weil du … die Fotos von Adam gesucht hast. Ich hätte sie nie in den Schrank tun sollen, denn dort sind sie … einsam.« Ihre Stimme schwankt, und sie stolpert über das Wort, aber ich höre es deutlich, denn in meinem Kopf herrscht jetzt eine herrliche, selige Stille, und der Rand meines Blickfelds ist weiß.
    »Gut«, sagt sie schniefend, aber ohne Tränen. »Wie wäre es, wenn du Wasser aufsetzt, während ich nachschaue, was die Keksabteilung an Leckerem zu bieten hat?«
    Als Paul zurückkehrt, steht sie vor dem Kühlschrank und dreht sich lächelnd zu ihm um. »Holst du die Fotos, während wir hier alles vorbereiten?«
    Er gibt ihr im Vorbeigehen einen Kuss. Ich nehme an, dass er seine Lippen nur auf ihren Kopf drücken wollte, aber sie hebt den Kopf und küsst ihn auf den Mund. Beide lächeln.
    Es sind so viele Alben, dass

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