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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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bot einen verwegenen Ausblick auf ihre zarte weiße Haut und formte ein tiefes Dekolleté, das viel versprach.
    Lydia zog ein finsteres Gesicht, als sie die Haken schloss. »Sie sind dünner, als ich gedacht habe.«
    »Tut mir leid.« Raine musste über den anklagenden Ton der Frau fast lachen. »Ich hatte in letzter Zeit wenig Gelegenheit zu essen.«
    »Wenn Sie nichts essen, wird Ihr Aussehen darunter leiden«, schimpfte Lydia und packte ihr Nähzeug aus. »Halten Sie still, während ich das richte.«
    Sie zupften und rupften, nähten und stopften. Schließlich führten sie Raine vor den großen Spiegel am Schrank.
    Sie versuchte, nicht nach Luft zu schnappen, aber es war wirklich schockierend, wie sie aussah. Die Farbe des Kleids betonte ihre Haut und ließ sie perlmuttfarben leuchten. Das Make-up war dezent, aber es rückte ihr Gesicht in den Mittelpunkt und betonte ihre hohen Wangenknochen. Ihre geraden Brauen waren zu einem eleganten Bogen gezupft und öffneten ihr Gesicht. Ihre Augen schienen riesig. Selbst ihr voller Mund, von dem sie immer gedacht hatte, dass er ihr ein kindliches und verletzliches Aussehen verlieh, wirkte anders. Sinnlich und geschwungen.
    Sie glitzerte und leuchtete geradezu. Fast … schön.
    Raine hatte sich selber nie als schön empfunden. Hübsch vielleicht, aber Schönheit war immer Alix’ unbestrittenes Terrain gewesen, und Raine hatte schon in jungen Jahren gespürt, dass es gefährlich war, sich dort hineinzuwagen.
    Das Wissen, schön zu sein, machte ihr jedoch keine Freude. Es war vielleicht ein gewisser Vorteil, womöglich sogar eine Waffe, wenn sie den Mut hatte, sie einzusetzen. Alix hatte es getan, oft und ohne Gnade.
    Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Schönheit gab ihr nicht das Gefühl, Macht zu besitzen. Zumindest nicht in dieser Umgebung. Ganz im Gegenteil, sie fühlte sich nur noch verwundbarer in ihrem sinnlichen, wundervollen Kleid. Victor spielte mit ihr.
    Das Kleid hatte die Farbe eines klaren Abendhimmels. Es erinnerte sie an das illustrierte Märchenbuch, das sie als Kind immer gelesen hatte. Die Braut von Blaubart hatte so ein Kleid angehabt, allerdings mit Puffärmeln. Auf ihrer Reise des Entsetzens durch das blutbesudelte Schloss ihres neuen Ehemanns hatte sie eben diese Pfauenfarbe getragen.
    Ein Zittern durchlief Raine. Mara missverstand es und griff hinter sich.
    »Hier ist eine Stola, wenn Ihnen kalt ist«, sagte sie und legte ihr ein Tuch in dem gleichen Pfauenblau um die Schultern. Alle Farben des Regenbogens schimmerten darin.
    Raine riss ihren Blick vom Spiegel los und sah in die erwartungsvollen Gesichter der drei Frauen. Sie rang sich ein Lächeln ab. »Vielen Dank. Sie sind sehr talentiert. Ich sehe wunderbar aus.«
    »Kommen Sie jetzt mit«, forderte Mara sie knapp auf. »Mr Lazar hat gesagt, ich soll Sie in die Bibliothek bringen, wenn Sie fertig sind.«
    Raine folgte Mara durch den Flur. Der Rock bauschte sich um ihre Knöchel und strich raschelnd über den Boden. Ein kühler Luftzug glitt um ihre nackten Schultern und ihren entblößten Hals und ließ die Stola wie die Flügel einer Elfe hinter ihr herwehen. Mara öffnete die Tür zur Bibliothek, nickte ihr kurz zu und zog sich dann diskret zurück.
    Raine schwebte über den blutroten Teppich. Die Bibliothek wurde nur von einer Deckenlampe mit einem bunten Glasschirm erhellt. Sie tauchte die Fotografien auf dem Bord unter dem Porträt von Raines Großmutter in ein sanftes Licht.
    Eingehüllt in eine surreale, fast traumhafte Stille stand Raine in der Mitte des Perserteppichs, genau an der Stelle, wo alle seine verschlungenen Muster zusammenliefen.
    Sie starrte das Porträt an. Und das Gemälde ihrer Großmutter schien sie ebenfalls anzusehen; ihre hellgrauen Augen glitzerten scheinbar amüsiert. Raine bemerkte, dass sie die gleichen Augen und Augenbrauen hatte wie sie selbst. Die Brauen waren jetzt etwas anders, da Moira und Lydia sie gezupft und etwas gezähmt hatten, aber der Effekt war ganz ähnlich.
    Sie wünschte, sie hätte Seth angerufen, aber das Handy befand sich immer noch in ihrer Tasche im Turmzimmer. Sie hatte kein Abendtäschchen, das zu dem Kleid passte, in dem sie es hätte mitnehmen können. Sie hatte sich ziemlich vor Seths Reaktion gefürchtet, aber da sie jetzt angekleidet und wie eine Jungfrau zum Altar geführt worden war, um geopfert zu werden, schien sein Zorn ihre geringste Sorge zu sein. Sie warf einen Blick auf ihr Spiegelbild im Fenster. Die

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