Die Nacht Hat Viele Augen -1-
eingestellt hatte. Und wenn sie nicht im Haus von Lazars Exgeliebter wohnen würde, wäre sie ihm vielleicht gar nicht aufgefallen. Lazars Besuche in diesem Haus mussten natürlich überwacht werden, und genau das taten sie nun auch schon seit Monaten.
Aber Lazar besuchte die Blondine nicht, zumindest hatte er es bisher noch nicht getan. Sie kam jeden Abend direkt vom Büro dorthin und hielt unterwegs nur an, um Lebensmittel einzukaufen oder ihre Wäsche aus der Wäscherei zu holen. Der Sender, der in ihrem Wagen installiert war, zeigte, dass sie niemals ihre Route wechselte. Aus den wöchentlichen Telefonaten mit ihrer Mutter war klar zu erkennen, dass die Frau nicht die geringste Ahnung von dem neuesten Karrieresprung ihrer Tochter hatte, was absolut verständlich war. Wenn eine junge Frau von einem ekelhaften, reichen Kriminellen zu seinem bloßen Vergnügen ausgehalten wurde, würde sie diese Tatsache natürlich vor ihrer Familie verbergen wollen. Sie kannte niemanden in Seattle, ging niemals aus und hatte auch sonst keine nennenswerten Kontakte.
Eigentlich genau wie er selbst.
Ihre großen, verschreckten Augen waren silbergrau, um die Iris lag ein indigoblauer Ring. Aufgewühlt betrachtete er das vergrößerte Bild. Sie sah so … Gott, süß war das einzige Wort, das ihm einfiel, obwohl er dabei innerlich zusammenzuckte. Noch nie hatte er moralisch ein Problem damit gehabt, Leute auszuspionieren. Schon als Kind hatte er sofort gewusst, wer sein ganz persönlicher Superheld in den Comics war, die er las. Und zwar eindeutig der Mann mit dem Röntgenblick. Die perfekte Mutation für ein paranoides Kind wie ihn. Wissen bedeutete Macht, und Macht war gut. Er hatte eine lukrative Karriere auf dieser Philosophie aufgebaut. Jesse hatte ihn immer damit aufgezogen.
Schnell schob er diesen Gedanken beiseite, bevor er ihn wieder aus der Bahn warf.
Er musste cool bleiben und unparteiisch. Cyborgman. Das war der Name für einen Comichelden. Er hatte diese Mutanten aus den alten Comics immer geliebt. Sie waren alle innerlich zerrissen, deprimiert und fremd in dieser Welt. Damit konnte er sich identifizieren. Er hatte Montserrat, Lazars frühere Geliebte, immer mit eiskaltem Abstand observiert. Ihr zuzusehen, wie sie sich mit Lazar im Bett rekelte, hatte ihn völlig unberührt gelassen, es hatte ihn sogar ein wenig angeekelt. Und ein schlechtes Gewissen hatte er niemals verspürt.
Aber schließlich war Montserrat auch eine Professionelle. Er sah es an ihrer geschmeidigen, kalkulierten Körpersprache. Sie hatte immer eine Maske getragen, ob sie es gerade mit Lazar trieb oder allein war.
Die Blonde besaß überhaupt keine Maske. Sie war weit offen und wehrlos und weich wie Schlagsahne … wie Butter … wie Seide.
Er kam sich schäbig vor, sie so zu beobachten. Ein Gefühl, das ihm so fremd war, dass er Tage gebraucht hatte, um es benennen zu können. Aber je schäbiger er sich fühlte, desto unmöglicher war es ihm, damit aufzuhören. Er wünschte, er könne den nagenden Gedanken einfach abschütteln, dass sie gerettet werden müsse. Zum einen war er nicht der Typ Weißer Ritter, und außerdem musste er Jesse rächen. Das reichte ihm schon an Verantwortung.
Aber er wünschte, sie wäre nicht so verdammt schön. Es war sehr verwirrend.
Ein Psychiater hätte seine Fixierung wahrscheinlich erklären können: Er projizierte unterdrückte Kindheitsfantasien auf sie, weil sie wie eine Märchenprinzessin aussah. Er hatte zu viele Comics gelesen. Er war gestresst, deprimiert, besessen, hatte eine verschobene Wahrnehmung der Wirklichkeit, bla, bla, bla. Und dann hatte der atemberaubende Körper dieser Frau seine Wirklichkeit einfach auf den Kopf gestellt. Seine längst verkümmerte Libido war abrupt wieder zum Leben erwacht.
In dem Moment betrat sie den Bildbereich der Farbkamera, die in die filigrane Schnitzerei einer Deckenlampe aus Ebenholz im Schlafzimmer eingebettet war. Die Lampe war von Montserrat zurückgelassen worden, die so abrupt ausgezogen war, dass sie sich noch nicht einmal die Zeit genommen hatte, ihre persönlichen Dinge, mit denen sie das Haus ausgestattet hatte, mitzunehmen. Die Blonde hatte keinerlei eigene Sachen mitgebracht und auch kein Interesse daran gezeigt, irgendetwas umzustellen – was gut war. Die Farbkamera in der Lampe lieferte ein exzellentes Bild von dem Spiegel im Kleiderschrank, ein Detail, für das er äußerst dankbar war.
Er vergrößerte das Bild, bis es den gesamten Schirm
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