Die Nacht Hat Viele Augen -1-
trotzdem die Fresse poliert und auch noch ein paar andere Körperteile, schon weil er es überhaupt in Erwägung gezogen hat. Er wird jetzt wohl eine Weile Blut pissen.« Sein Mund verzog sich zu einem kleinen grimmigen Lächeln. »Der Knast müsste einem hübschen blonden Jungen wie ihm richtig Spaß machen.«
Seth stieg aus dem Wagen, packte Connors Krücke und riss sie ihm mit einem Ruck aus der Hand. »Benutzt du das Ding eigentlich für den Showeffekt, um Invalidenrente einzustreichen, oder macht es dich einfach an, eine zusätzliche Waffe mit dir herumzutragen?«
Connor riss die Krücke wieder an sich und wirbelte sie geschickt herum. »Man kann mit dem Baby eine Menge Schaden anrichten, wenn man schnell ist.«
Ein Reh lief zwanzig Meter von ihnen entfernt über eine Wiese. Sie beobachteten, wie es ruhig und unbekümmert an ihnen vorbeizog. Die Welt drehte sich weiter. Jesse war immer noch tot. Novak immer noch am Leben. Das Reh fraß die Spitzen der Grashalme.
Die Fliegentür schepperte. Sean kam zum Chevy geschlendert. »Hi Connor. Hallo Seth, dein Freund Kearn hat gerade zum sechsten Mal angerufen. Jetzt ruf ihn doch endlich mal zurück. Er macht sich Sorgen um dich.«
»Er wird’s überleben. Ich fahre heute. Ich rede mit ihm, wenn ich zu Hause bin.«
»Ja, klar. Das sagst du schon seit acht Tagen. Nicht dass es ein Problem ist. Bleib, solange du willst.« Sean grinste und schob seine Hände in die Taschen. »So lange eben, wie du brauchst, um den Mut zu fassen, zu ihr zu fahren.«
Seth warf ihm einen Blick zu, bei dem die meisten Menschen ins Stottern gekommen und zurückgewichen wären. Auf Sean hatte er nicht die geringste Wirkung. Er zeigte einfach nur seine Grübchen und wartete.
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Sean«, sagte Connor.
»Ich habe mich die ganze Woche um meinen eigenen Kram gekümmert. Mir ist langweilig«, erklärte Sean fröhlich. »Worauf wartest du denn? Ich würde mich hechelnd vor dieser Superbraut in den Staub werfen, wenn ich du wäre.«
Seth dachte an Raines letzte Worte. »Sie ist Lazars Tochter.«
Sean legte den Kopf schräg, machte ein verblüfftes Gesicht und wippte auf den Fußballen. »Ja und? Der Kerl ist doch tot. Er wird dir keine Probleme mehr bereiten.«
Connor warf ihm einen gequälten Blick zu. »Sean …«
»Unser Dad war völlig durchgeknallt, aber uns macht das auch niemand zum Vorwurf«, meinte Sean. »Und scheiß auf jeden, der das trotzdem tut. Denk doch mal drüber nach – dein Vater war auch nicht gerade der Hauptgewinn. Und es hat sich ja herausgestellt, dass sie dich nie beschissen hat, oder? Also …?«
Gegen Seans direkte Logik war nichts einzuwenden. Und Seth hatte keine Lust, ihm Raines Wut und die glitzernde Kälte zu beschreiben, die er in ihren Augen gesehen hatte, als sie ihn über die Leiche ihres Vaters hinweg angestarrt hatte.
Stattdessen wurde er einfach unfreundlich. »Verpiss dich, Sean.«
Sean bekam schmale Augen. »Du willst sie doch noch haben, oder?«
»Darum geht es nicht.«
Sean schnaubte. »Nein. Es geht darum, dass du ein Schlappschwanz bist mit Eiern so groß wie Senfkörner.«
Connor wandte sich ab und gab einen erstickten Laut von sich.
Sean setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Diese Frau ist zu viel für dich, was? Ich habe eine gute Nachricht. Vielleicht kann ich sie trösten. Ihr gebrochenes Herz heilen. Ich würde alles dafür tun, du weißt schon, was ich meine.«
Plötzlich hatte Seth eine Handvoll von Seans ausgeblichenem Micky-Maus-T-Shirt in der Faust und ließ dessen Füße ein paar Zentimeter über dem Boden baumeln.
»Denk nicht mal dran«, zischte er. »Oder ich nehme dich auseinander. Kapiert?«
Sean packte Seths Faust und zog sich hoch, damit er atmen konnte. »Dich aus der Reserve zu locken, klappt immer«, krächzte er. »Davy und Connor sind so abgestumpft, die reagieren überhaupt nicht mehr, aber du … Wow! Auf dich ist echt Verlass.«
Seth schleuderte ihn zur Seite. Sean kam elegant wieder auf die Füße und wischte sich die Tannennadeln von den Jeans. Er war ein guter Verlierer. Mit Connor und Davy als Brüder musste er das auch sein. Irgendetwas in Seth zog sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Er war auch mit Jesse hart umgesprungen. Jesse war ein verdammt guter Verlierer gewesen und hatte ihm immer verziehen, auch wenn er es nicht verdient hatte.
Er drehte den beiden den Rücken zu und marschierte hinaus auf die Wiese. »Falls Kearn anruft, sag ihm, dass ich heute
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