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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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fortstieß. »Geh weg von ihm!«, zischte sie.
    Er sah zu, wie sie sich über den sterbenden Mann beugte und etwas murmelte. Einige Locken ihrer zerzausten Mähne fielen in sein Blut. Sie weinte, ohne einen Laut von sich zu geben, ihre Tränen tropften ins Blut.
    Lazars Augen wurden glasig, dann brachen sie.
    Novak lag völlig verdreht mit dem Gesicht nach unten da wie ein Haufen blutverschmierter Kleidungsstücke.
    Seth spürte weder Triumph noch Befriedigung noch Frieden.
    Er fühlte überhaupt nichts.
    Raine starrte in Victors Gesicht und hoffte, wenn sie nicht blinzelte, würde er sie auch nicht verlassen. Sie hatte ihn doch gerade erst gefunden.
    Aber sie weinte zu sehr. Sie konnte nicht anders und musste blinzeln. Und er entglitt ihr ohnehin, kein Bann konnte ihn davon abhalten. Sie berührte sein Gesicht, eine scheue Zärtlichkeit, die einen verschmierten Streifen seines eigenen Bluts auf seinen hohen Wangenknochen hinterließ.
    »Ich habe dein Passwort erraten«, flüsterte sie. »So habe ich dich gefunden.«
    »Kluges Mädchen.« Sie konnte ihn kaum verstehen. »Du hast das Passwort nicht erraten, du bist das Passwort.«
    »Es tut mir so leid, dass ich dir nicht geben konnte, was du dir gewünscht hast.«
    Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Doch, das hast du. Peter kann mir jetzt vergeben. Wenn du es auch kannst.« Sein Blick bohrte sich in ihren.
    Sie wich ihm nicht aus und nickte. »Das kann ich«, sagte sie nur.
    In diesem Moment gab es keine Geheimnisse und keine Lügen mehr zwischen ihnen, nur die Endgültigkeit des Todes, wie ein Boot, das hinaustrieb in eine große Leere.
    Es war wie in ihren Träumen und doch anders. Diesmal überfiel sie keine Panik, als das Boot sich entfernte, und sie bettelte auch nicht darum, mitkommen zu dürfen.
    Sie hielt einfach nur Victors erschlafften Körper in den Armen, ließ die Tränen fließen und sah ihm nach.
    Seths Welt brach zusammen. Es gab keine Rettung mehr. Lichter blitzten, Leute sprachen laut miteinander, gesichtslose Uniformen stellten ihm irgendwelche Fragen, auf die er sich nicht genug konzentrieren konnte, um sie zu beantworten. Die McClouds kümmerten sich darum, und er war ihnen dankbar dafür.
    Irgendwann wurde ihm klar, dass Novak nicht tot war. Zwar nahe dran, so wie er aussah, aber die Sanitäter steckten irgendwelche Schläuche in ihn hinein. Die Mühe würden sie sich sonst sparen.
    Toll. In der Hinsicht hatte er also auch versagt. Jesse war immer noch nicht gerächt.
    Aber jedes Gefühl war unter Tonnen von Scherben begraben. Er saß auf dem blutverschmierten Boden und sah Raine zu, wie sie weinte. Zwischen ihnen klaffte ein gähnender Abgrund. Riesig und hallend und endlos. Sie weinte immer noch, als man Victor in einen schwarzen Leichensack legte, und er verstand einfach nicht, warum. Der Mann war ein eiskalter Mörder gewesen. Er hatte ihren Vater umbringen lassen und ihr Leben ruiniert. Es verblüffte ihn so sehr, dass er zu ihr hinüberstolperte und sie fragte: »Warum?«
    Sie rieb sich mit schmutzigen Fingern die roten Augen. »Warum was?«
    »Warum weinst du um den Mann, der deinen Vater getötet hat?«
    Der Sanitäter wollte sich um sie kümmern, aber Raine achtete gar nicht auf ihn. Sie waren in einer völlig anderen Welt, eingeschlossen in einer gläsernen Glocke aus eisigem Schweigen. Ihre Augen glitzerten in einem überirdischen Silber.
    »Er hat meinen Vater nicht umgebracht«, sagte sie. »Er war mein Vater. Ich trauere um ihn, wenn ich das verdammt noch mal darf.«
    Sie griff in Seths Jacke und kramte darin herum. Er starrte auf ihre Hand, benommen und reglos. Sollte sie ihn doch erstechen oder erschießen, wenn sie wollte. Ihm war es egal. Er hatte einfach nicht die Energie, sich zu wehren.
    Dann tauchten ihre schmutzigen Finger wieder auf und umklammerten den funkelnden Opal. »Den behalte ich«, sagte sie. »Als Erinnerung an meinen Vater.«
    Er starrte hinunter auf das blaugrüne Feuer, das unter der milchigen Oberfläche des Steins blitzte. »So haben sie uns gefunden«, sagte er.
    Sie nickte und stopfte die Kette in ihre Tasche. »Ich habe sie dir nicht absichtlich in die Tasche gesteckt. Und ich bin dir gefolgt, weil ich dich warnen wollte. Natürlich wirst du mir das nie glauben. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe mache, es dir zu erklären.«
    Er schüttelte den Kopf. »Raine …«
    »Glaub, was du willst. Es ist mir inzwischen egal, was du denkst«, sagte sie. »Du bist ein

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