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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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einen Bruder verloren hatte.
    Sean war einunddreißig, genauso alt wie dieser Kevin heute wäre. Offenbar hatte er seinen Zwilling vor zehn Jahren verloren, als er erst einundzwanzig gewesen war.
    Als diesmal der Schmerz in ihm aufstieg, versuchte er keine der üblichen Tricks, um sich abzulenken. Er biss einfach die Zähne zusammen, atmete und wartete. Der zehn Jahre alte Marmorblock erzählte stumm eine schmerzliche Geschichte. Er hockte sich hin und lauschte ihr schweigend.
    Es schmerzte, es schüttelte ihn. Sein Kiefer tat weh, seine Kehle brannte, und seine Beine schliefen ihm ein. Der kalte Wind pfiff um ihn herum und drang durch seine Kleidung. Er fegte immer wieder die toten Blätter und Tannennadeln zur Seite, die auf den Stein geweht wurden, und ertrug seine aufgewühlten Gefühle, ohne auch nur den Versuch zu machen, sie zu verstehen oder zu beherrschen.
    Als er sich schließlich wieder aufrichtete, stand er eine ganze Weile da, bis das Kribbeln und Stechen in seinen Beinen aufgehört hatte. Wenn er in der Nähe ein paar Wildblumen gesehen hätte, hätte er sie gepflückt und auf Kevins Grab gelegt, da ihn ja niemand beobachtete. Doch er sah nur Gras mit Frostschäden, rotbraune Tannennadeln, Tannenzapfen und totes Laub.
    Als er seine Füße schließlich wieder voll belasten konnte, hatte der Wind zugenommen. Er fuhr durch die Bäume, und der Wald rauschte und knarrte. Irgendetwas hatte sich verändert. Der Wind, das Wetter, die Landschaft seines Bewusstseins.
    Er würde aufhören, die Welt zurückzuweisen. Diesen Tribut würde er Jesse zollen. Und bei den McClouds würde er gleich damit anfangen. Er schuldete ihnen so viel. Ohne ihre Hilfe hätte er Raine niemals lebend aus diesem Haus bekommen. Er würde all den brüderlichen Mist schlucken, den sie von sich gaben, und ihnen einfach nur dankbar sein. Und auch wenn er sie mehr brauchte als sie ihn, dann war das eben Pech. Dafür musste man sich nicht schämen.
    Und Raine. Oh Gott, Raine.
    Als sie im Krankenhaus gelegen hatte, völlig benommen vom Demerol, hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebe. Sie hatte ihm befohlen, nicht zu sterben. Es hatte vielversprechend geklungen, aber er war nicht mit einer drogensüchtigen Mutter aufgewachsen, ohne Regel Nummer eins zu lernen: Was Leute sagten, wenn sie stoned waren, zählte nicht. Niemals.
    Sie konnte ihn natürlich zurückweisen. Er hatte nichts Besseres verdient nach all dem Scheiß, den er mit ihr abgezogen hatte – sie überwacht, verführt, angelogen, manipuliert. Und dann hatte er sie auch noch des Verrats beschuldigt. Allein bei dem Gedanken daran zuckte er innerlich zusammen.
    Trotzdem musste er es riskieren. Er würde sich vor ihr in den Staub werfen. Kriechen und betteln, bis sie aus purer Erschöpfung nachgab. Sie war viel zu süß, und es fiel ihr immer so leicht, zu vergeben, genau wie Jesse. Das konnte er zu seinem Vorteil nutzen, nur dieses eine letzte Mal, danach würde er es nie wieder tun.
    Und er würde auch nicht zulassen, dass es irgendjemand anders tat. Er würde ihr Drache und ihr Weißer Ritter in einer Person sein. Er würde den Rest seines Lebens damit verbringen, sie zu beschützen und sie zu lieben und wie eine brennend heiße, umwerfende, anbetungswürdige Liebesgöttin zu behandeln. Denn das war sie.
    Raine war viel zu gut für ihn, aber scheiß drauf. Vielleicht hatte er ja Glück. Schneller und schneller lief er durch den Wald. Als er zwischen den Tannen hindurch auf die Wiese stürmte, rannte er wie ein Rennpferd.
    »Was für eine Frechheit, zu verlangen, dass du deinen Namen wieder in Lazar änderst. Dieser unerträgliche, arrogante Bastard. Als Voraussetzung, damit du dein Erbe antreten kannst. Pah! Typisch der alte Victor. Er hat die Leute schon immer manipuliert.«
    »Mir macht das nichts aus«, erwiderte Raine geduldig. »Der Name gehört irgendwie auch mehr zu mir als der von Hugh.«
    Alix wirbelte vor dem Schrank herum, in dem sie gerade etwas gesucht hatte, und betrachtete ihre Tochter mit gerunzelter Stirn. »Du hast dich verändert, Lorraine. Ich habe keine Ahnung, woher diese hochnäsige, allwissende Art kommt, und mir gefällt diese Veränderung überhaupt nicht.«
    Raine zog den Kamm sorgfältig durch ihre verknoteten Haare. »Es tut mir leid, dass es dich stört. Ich fürchte nur, ich werde so bleiben.«
    »Siehst du? Es geht schon wieder los. Schon wieder so eine aufsässige, überhebliche Bemerkung. Ich schwöre dir, ich verliere die Geduld.« Alix schüttelte

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