Die Nacht Hat Viele Augen -1-
ruinieren.«
Der Schmerz in seinem Ton tat ihr weh. »Das hast du nicht«, platzte sie heraus. »Das hast du nicht. Aber ich kann mich nicht einfach so gehen lassen, wie du es von mir erwartest. Oder zumindest … sollte ich das nicht.«
»Warum nicht?«
Sie hob die Hände. »Weil ich dich nicht kenne!«
Er hob den Kopf. »Na und? Du weißt doch, wie sehr ich dich will. Du weißt, wie gut ich dir tue. Was musst du sonst noch wissen?«
Der Abgrund zwischen ihren beiden Standpunkten verschlug ihr den Atem.
»Heute Nachmittag sind wir beide von außerordentlich dämlichen Voraussetzungen ausgegangen. Es hat uns beiden nur Schmerzen bereitet, und es war furchtbar. Das darf nicht wieder passieren«, erklärte sie ihm ernst. »Ich bin nicht der Mensch, der einfach anonymen Sex mit irgendeinem Fremden haben kann. Das war … ein Fehler.«
»Ein Fehler?« Seine Stimme klang gefährlich leise.
»Nein! Ich meine, ja. Ich meine, es war wunderbar, mit dir zu schlafen, aber es war ein Fehler, mit einem Fremden ins Bett zu gehen. Ich will nicht, dass du für mich ein Fremder bist, Seth. Bevor ich dich nicht besser kenne, kann ich nicht wieder mit dir schlafen.«
Sein Schweigen zerrte an ihren Nerven. »Was willst du denn wissen?«
Sie hob die Schultern. »Alles. Die normalen Dinge.«
Er stieß ein kurzes Lachen aus. »An mir ist nichts besonders normal, Raine.«
»Dann die unnormalen Dinge«, erwiderte sie verzweifelt.
»Sei präziser. Was genau interessiert dich?«
»Oh, bitte hör auf, es so kompliziert zu machen«, fuhr sie ihn an. »Wo kommst du her? Wo bist du zur Schule gegangen? Wie ist deine Familie? Was machen deine Eltern? Was isst du am liebsten zum Frühstück?«
»Ich hoffe, du erwartest nicht irgendwelche hübschen Geschichten.«
Sein ausdrucksloser Ton bestürzte sie. »Nein. Einfach nur die Wahrheit.«
Er legte seine Hände auf ihre Schenkel und strich über ihre Haut. »Ich bin in L.A. aufgewachsen«, sagte er. »Über meinen Vater weiß ich nicht viel. Meine Mutter allerdings auch nicht. Sie konnte mir nur sagen, dass sein Name Raul war, er lediglich spanisch gesprochen hat und dass ich genauso aussehe wie er, nur größer. Sie haben sich eigentlich bloß im Bett gut verstanden. Das ist so ziemlich alles, was ich über ihn weiß. Ich vermute, dass er ihr Dealer war und dass sie ihn gevögelt hat, um an welche Drogen auch immer zu kommen, die sie zu der Zeit genommen hat.«
Sie starrte ihn fassungslos an. »Oh Gott, Seth.«
»Als ich sechzehn war, hat sie sich eine Überdosis gesetzt, aber mit all dem Mist, den sie vorher gemacht hat, war sie damals für mich sowieso schon seit ein paar Jahren tot. Eine Weile gab es so eine Art Stiefvater, aber er hat mir absolut nichts bedeutet. Ich habe mich mehr oder weniger selbst großgezogen.«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken. Er versteifte sich, als sie ihre Wange gegen sein heißes Gesicht schmiegte.
»Jetzt werd bloß nicht rührselig«, murmelte er. »So war das nicht vereinbart.«
»Tut mir leid.« Sie richtete sich auf. »Wie hast du das durchgestanden?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin ziemlich ausgeflippt. Hab mir eine Menge Ärger eingehandelt. Kämpfe, jede Menge Kämpfe. Ich kämpfe gut. Und Sex natürlich. Ich habe sehr früh mit Sex angefangen.« Er zögerte. »Da bin ich auch gut«, fügte er hinzu.
Er hielt inne und versuchte ihre Reaktion einzuschätzen. Sie wartete geduldig.
»Meine Mom mochte Pillen, und mein Stiefvater mochte Schnaps, aber meine Lieblingsdroge ist Adrenalin. Ich bin gut mit meinen Fäusten oder auch mit einem Messer. Ich war ein begabter Dieb. Ich kann Schlösser knacken, ich kann Autos kurzschließen. Eine Weile bin ich Dragster-Rennen gefahren, das hat viel Spaß gemacht. Da war ich auch ziemlich gut. Und ich war ein unglaublich guter Ladendieb. Man hat mich nicht einmal erwischt.«
Er wartete. Sie nickte ihm aufmunternd zu und strich ihm übers Haar.
»Aber ich hab nie mit Drogen gedealt«, fuhr er fort. »Meine Mutter zu beobachten, hat mir das gründlich ausgetrieben.« Mit den Handknöcheln strich er ihr über die Wange, sehr zärtlich. »Mach ich dir Angst, Raine?«
Er klang fast spöttisch, aber sie hörte, was er zwischen den Zeilen sagte, als würde er es ihr ins Gesicht schreien. Für einen Mann wie ihn war es bestimmt nicht einfach, ihr solche schmerzlichen und intimen Dinge zu erzählen. Mit seinen unverblümten Worten lieferte er sich ihr aus. Die Geste berührte sie.
Er machte ihr keine
Weitere Kostenlose Bücher