Die Nacht im Stau (German Edition)
endlich weg käme von den Leuten im Labor. Er würde studieren, so wie sie, und hätte eine geistige Beschäftigung. Das würde sie ganz sicher einander näher bringen. Zudem wären sie später beide Beamte und verdienten vermutlich ganz ordentlich Geld.
Robert hatte Glück. Dem Antrag auf Umschulung aus gesundheitlichen Gründen wurde statt gegeben. In der verbleibenden Zeit bis zum Beginn des Sommersemesters gelang es Robert gerade noch, seine Zahntechnikerlehre zu beenden. Danach begann er seine Ausbildung zum Zollbeamten. Das lag jetzt ein halbes Jahr zurück.
Seither musste er hin und wieder zu Leh rgängen. Der jetzige in Freiburg war einer davon.
Sonja schreckt auf. Sie muss tatsächlich eingedöst sein. Ein kurzer Blick zur Uhr: Es ist schon fast halb sechs. In einer halben Stunde ist Roberts Fortbildung zu Ende, dann wird er in Freiburg auf sie warten. Nicht mehr lange, dann muss sie ihm eine SMS schreiben und ihm mitteilen, dass sie im Stau steckt.
Sie zuckt zusammen als plötzlich ein Schatten neben ihrem Fenster auftaucht. Mit einem alten Lappen reibt sie die beschlagene Scheibe von innen frei und tatsächlich steht da jemand neben ihrem Auto. Überrascht kurbelt sie die Scheibe ein wenig herunter.
„Entschuldigung.“ Offensichtlich friert der junge Mann sehr, denn er reibt sich ganz heftig die Hände. „Ich wollte Sie nicht wecken.“
Sonja schaut ihn verständnislos an. Was will er von ihr?
„Mein Auto steht da drüben .“ Er deutet auf das Fahrzeug, das hinter dem des alten Mannes parkt. „Mir ist der Sprit ausgegangen.“
Als sie imme r noch nicht zu begreifen scheint, schiebt er nach: „Ohne Sprit läuft die Heizung nicht.“ Und mit gesenkter Stimme: „Ich bin so total ausgekühlt – ich müsste mich nur mal kurz aufwärmen. Wäre das sehr schlimm für Sie, wenn ich mich kurz zu Ihnen ins Auto setzen würde?“
Oh Gott, der Arme! denkt sie. Und gleichzeitig: Was mach ich denn jetzt? Einen fremden Mann in ihr Gefährt lassen?
Aber, na ja, da sind ja genügend Leute ringsumher, falls sie Hilfe braucht, falls er zudringlich werden sollte.
„Steigen Sie ein“, seufzt sie und deutet auf die Beifahrertür. Schnell räumt sie den Sitz frei und wartet bis er Platz genommen hat.
„Ich hab gedacht, ich pack das.“ Er drückt seine Arme fest an seinen Körper und kann vor Zittern kaum sprechen. „Aber bei fünf Grad unter Null ist es kein Vergnügen im kalten Auto zu sitzen.“
„Kann i ch mir vorstellen.“ Sonja nickt. Eisige Kälte strömt von ihm aus und sie dreht das Gebläse höher, um die Luftfeuchtigkeit zu reduzieren.
Sie hat keine Ahnung, was sie jetzt sagen soll, was der fremde Mann von ihr erwartet. Noch nie hat sie eine auch nur annähernd ähnliche Situation erlebt. So muss es sein, wenn zwei Fremde über längere Zeit in einem steckengebliebenen Fahrstuhl zusammen eingesperrt sind. Sie spürt, dass der Mann neben ihr auch nicht so recht weiß, was er sagen soll. Sicher ist ihm die Situation auch sehr unangenehm. Plötzlich fällt Sonja die Thermoskanne mit heißem Tee ein, ihr eiserner Proviant.
„Möchte n Sie eine Tasse Tee?“
Er sieht sie erstaunt an.
„ Haben Sie denn so etwas dabei?“
Sonja nickt. „Für den Fall der Fälle.“ Sie knipst die Innenbeleuchtung an, dreht sich nach hinten zum Rücksitz und zieht die Thermoskanne aus dem Korb.
„Pfefferminztee“, meint sie achselzuckend, „aber immerhin warm.“
Mit zitternden Händen nimmt er den Kunststoffbecher entgegen und hält ihn lange Zeit umklammert, bevor er ihn schließlich an die Lippen bringt und in kleinen Schlückchen zu trinken beginnt.
„Noch nie hat ein Pfefferminztee so herrlich geschmeckt. Tausend Dank.“
„Noch einen?“
„Nein, danke. Den sollten Sie für sich aufheben, die Nacht kann noch lang werden.“
„Meinen Sie, es wird wirklich noch eine Weile dauern?“
„Abs olut. Bis das alles geräumt ist!“
Er nimmt noch einen letzten Schluck, dann gibt er ihr den Becher zurück. Sie schüttet eventuelle Restt ropfen auf den Boden, dann schraubt sie die Thermoskanne wieder zu und stellt sie nach hinten.
„ Sie sollten daran denken, ab und zu ein bisschen frische Luft hereinzulassen“, beginnt er das Gespräch wieder, „sonst könnte der Sauerstoff hier innen zu knapp werden.“
„Hm. “
Jetzt ist wohl erst einmal genug Luft herein gekommen, zusammen mit ihm, denkt Sonja und fragt sich, wie lange der Mann wohl bei ihr bleiben will. Ein paar Minuten, hatte er
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