Die Nacht im Stau (German Edition)
ist dein Auto und ich bin unendlich fro h, dass du mir Asyl gewährst. Stell es einfach so ein, wie du es brauchst.“
Kling. Kling. Ihr Handy meldet den Eingang einer SMS.
Himmel! Es ist 18.10 Uhr. Sie hat doch glatt die Zeit vergessen! Robert wartet auf sie und sie sitzt hier und verschwätzt die Zeit.
„Ich muss kurz antworten“, erklärt sie unnötigerweise und schaltet ihr Handy ein.
‚Wo steckst du ? Ich warte vor der Tür‘, schreibt Robert.
S o schnell es nur ging antwortet sie: ‚Ich stehe im Stau bei Pforzheim. Totalsperrung der Autobahn bis in die Morgenstunden. Was sollen wir machen?‘
Sie wartet , doch es kommt keine Antwort.
Anrufen will sie nicht so gerne. Erstens haben sie beide keinen Handyvertrag, der eine Flatrate beinhaltet. Das Geld ist bei beiden knapp und sie haben vereinbart, nur im Notfall zu telefonieren. Zweitens ist es ihr irgendwie unangenehm mit Robert zu sprechen, jetzt, wo dieser Fremde neben ihr sitzt. Sollte das Handy klingeln, dann wird sie das Gespräch natürlich annehmen, aber sie selbst, nein, sie hat im Augenblick keine Lust mit Robert zu sprechen.
„Hast du schon eine Eintrittskarte für das Konzert gekauft?“, wendet sie sich wieder ihrem Nebensitzer zu.
„Ja, leider. Und die war nicht gerade billig.“ Er zuckt die Schultern. „Aber was soll ich machen? Ich kann die Situation ja jetzt nicht ändern, da hilft alles Aufregen nichts. C’est la vie.“
Eine gute Einstellung. Es gefällt Sonja, dass er nicht schimpft oder verärgert ist.
Svens letzter Satz legt erneut den Gedanken nahe, dass er etwas mit Frankreich zu tun hat. Sie fragt ihn danach und er erwidert lachend: „Nein. Die Mütze trage ich nur, weil ich nichts Besseres gefunden habe. Ansonsten bin ich ein bisschen frankophil angehaucht, das stimmt schon. Das kommt vom deutsch-französischen Austausch, der an unserer Schule stattgefunden hat.“
Sonja nickt. Auch an ihrer Schule hat es so ein Programm gegeben, doch sie durfte kein einziges Mal daran teilnehmen, weil die Finanzsituation ihrer Mutter es nicht erlaubt hatte.
„Und du? Was machst d u so im normalen Leben?“, wendet er sich an Sonja.
„Ich bin seit einem hal ben Jahr fertig mit dem Studium“, erwidert sie nicht ohne ein Quäntchen Stolz zu verspüren. „Hab Englisch und Kunst für das Lehramt an Realschulen studiert. Da unterrichte ich jetzt eine 5. Klasse. Das macht echt Spaß.“
„Kann ich mir gut vorstellen.“ Svens Augen strahlen. Sie scheut sich, ihn allzu lange anzuschauen, denn die Enge im Auto irritiert sie. Sie kennt ihn kaum und diese Nähe hat etwas Intimes, Vertrautes an sich. Bei dem kurzen Blick fallen ihr erneut seine Lachfältchen um die Augen auf. Wirklich ein charmanter Typ.
Wie soll das Ganze jetzt weiter gehen? Wie lange werden sie hier noch herum sitzen müssen? Sonjas Gedanken überschlagen sich. Stellt er sich etwa vor, bis zur Aufhebung des Staus, mehrere Stunden lang, in ihrem Auto sitzen zu bleiben? So, wie es den Anschein hat, ja. Sie weiß nicht so recht, wie sie die Gefühle, die sie bei dieser Vorstellung bekommt, einschätzen soll. Seltsam ist es auf jeden Fall.
A uf einmal verspürt sie mächtigen Hunger. Es ist ihre übliche Abendbrotzeit und sie hat mit Absicht mittags nichts gegessen, weil sie ja am Abend mit Robert schlemmen gehen wollte.
„Glaubst du, dass irgendwann mal jemand vorbei ko mmt und uns etwas zu essen bringt?“, fragt sie Sven.
„Kann schon sein. Ich habe keine Erfahrung mit einer solchen Situation. Ich stand noch nie eine Nacht lang im Stau.“
„Eine Nacht lang! Wird es wirklich so lange dauern, bis die Strecke wieder frei ist?“
„K eine Ahnung. Vorhin haben sie genau die gleichen Worte wiederholt wie vor einer Stunde, dass es noch völlig ungewiss ist, wann die Unfallstelle passierbar ist. Hast du Hunger? Ich habe ein paar Sachen im Kofferraum. Vor der Abfahrt war ich noch einkaufen, weil ich wusste, dass ich erst in der Nacht zurückkomme.“
„ Dich schickt der Himmel!“ Sonja Stimmung steigt augenblicklich. „Lass mal sehen, was du dabei hast.“
Sven langt nach hinten und holt seine Jacke vom Rücksitz. Erst jetzt fällt Sonja auf, wie gut er gekleidet ist. Klar, er wollte ja ins Konzert gehen. Er trägt kein Hemd mit Krawatte oder Fliege, wohl aber einen weißen Rollkragenpullover, der sich gut von seinem dunklen Haar abhebt.
„Bin gleich wieder da“, sagt er und schlüpft hinaus in die Kälte.
Zu gern hätte Sonja ihm hinterher geschaut,
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