Die Nacht in Issy
den Einbrechern und der Polizei gekommen war. Eine der üblichen Sachen, die mich nichts anging.
Ich war etwas enttäuscht. Ich hätte gern mehr über Alexandres Tod gelesen. So mußte ich mich bis zu den Abendausgaben gedulden.
Nach dem Frühstück räumte Dedé den Tisch ab. Dann zog sie sich die Trainingshosen über und stülpte den breitkrempigen Filzhut auf den Kopf.
»Ich gehe jetzt einkaufen«, sagte sie, »morgen ist Sonntag.«
Sie ging hinaus und schlug die Tür zu. Gustave grinste.
»Mit Weibern gibt’s immer Ärger«, meinte er, »aber ohne ist’s auch nichts. Sie ist schon recht so.« Und dann wühlte er etwas aus seinem Bett hervor und legte es auf den Tisch. Es war eine belgische FN-Pistole, Kaliber 7,65.
Einen Augenblick war ich wie erstarrt.
Er begann, sie auseinander zu nehmen und zu reinigen.
»Es hat Scherben gegeben«, sagte er, »heute nacht. Ich glaube, ich hab’ einen erwischt.«
Ich hatte mich noch nicht ganz erholt.
»Was — «, murmelte ich, »was habt ihr denn gedreht?«
Gustave nahm den Lauf heraus und hielt ihn gegen das Licht. Dann blinzelte er mich an und tippte auf die Zeitung, die er als Unterlage benutzte.
»Hast’s doch gelesen«, grinste er, »meinst du, ich hätte nicht gemerkt, daß du aufgepaßt hast wie ein Luchs. — Da steht’s doch drin.«
»Der Einbruch?«
»Was denn sonst? War alles sehr schön vorbereitet. Claude sagte, er würde sich mit Alarmanlagen gut auskennen, und wir verließen uns auf ihn. Und plötzlich waren sie da. Wenn wir nicht geschossen hätten, dann hätten sie uns in der Mausefalle gehabt.«
Ich brauchte etwas Zeit, um mit dieser neuen Lage fertig zu werden. Also war Gustave nicht in Issy gewesen; er konnte es nicht gewesen sein, der Alexandre erschossen hatte!
»Und du?« fragte Gustave, während er den Lauf mit einer Schnur reinigte. »Wo warst du?«
Ich hatte mir schon längst eine Antwort zurechtgelegt.
»In der Rue Béranger, bei Charles Dumarche; erinnerst du dich an ihn?«
Gustave schüttelte den Kopf.
»Der lange Kerl mit der Glatze, der öfter epileptische Anfälle bekommen hat.«
»Ach ja«, machte Gustave, »der. Ist das die Sache mit den Mädchen?«
»Ja. Er hat mir einen Vorschuß versprochen.«
Gustave zog ein Gesicht, sagte aber nichts mehr. Er war eine Weile völlig in seine Arbeit vertieft. Plötzlich schaute er mich an und sagte:
»Sie haben Claude geschnappt, gestern. Es ist geschossen worden. Schlimm kann’s nicht sein — sonst stünde da was ganz anderes drin; aber immerhin, es wurde geschossen. Und Claude hatte keine Pistole.«
»Sie werden ihn ausquetschen.«
»Natürlich werden sie das«, bestätigte Gustave, »ich möchte das Ding hier loswerden — so schnell wie möglich.«
»Wegwerfen«, sagte ich, »in die Seine.«
»Du bist verrückt«, knurrte er, »es ist verdammt schwer, wieder eine zu bekommen. Ich möchte sie nur ein paar Tage nicht hier haben. Könntest du — «
»Warum nicht«, sagte ich, »ich werde heute abend verschwinden. Du kannst sie mir für ein paar Tage überlassen.«
Er entleerte das Magazin. Es waren noch vier Kugeln darin.
»Da!« sagte er und gab sie mir.
Ich schüttelte den Kopf.
»So nicht«, erwiderte ich, »lade das Magazin voll. Alle acht.«
Er nahm sie zurück und steckte sie wortlos in seine Tasche. Eine Weile ging er auf und ab, dann sagte er, indem er sich wieder zu mir an den Tisch setzte:
»Du hast doch heute nacht nichts gedreht — oder?«
»Nein«, sagte ich, »nichts.«
»Ah — das ist gut. Ich hab’ dir schon viel geholfen, wie? Und Dedé auch. Du könntest mir jetzt auch mal unter die Arme greifen.«
»Wie? Ich habe doch selber nichts.«
»So meine ich es nicht«, fuhr er fort und fing an, ein Streichholz zu spalten, »so nicht, natürlich. Aber es könnte sein — ich meine, wenn Claude wirklich singt, du brauchst dann nur zu sagen, daß wir zusammen bei Charles Dumarche waren.«
Seine Augen hingen erwartungsvoll an meinem Gesicht.
Eine Sekunde überlegte ich, ob ich ihm reinen Wein einschenken sollte.
»Natürlich«, sagte ich, »selbstverständlich kann ich das bezeugen. Wir waren zusammen bei Charles. Wir haben dort ein Spielchen gemacht und Wein getrunken. Und dann sind wir zu Fuß nach Hause gebummelt. — Das meinst du doch?«
Er nickte.
»Natürlich kann ich das bezeugen«, wiederholte ich.
Er nickte wieder und stand auf.
»Du bleibst noch bei uns, ja?« fragte er. »Wenigstens in der nächsten Zeit?«
Nun lächelte
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