Die Nacht in Issy
störte.
»Was wollen Sie, Monsieur?«
»Ich möchte mich melden, ich werde gesucht.«
»Weshalb? — Wer sind Sie?«
»Ich heiße Bouchard, Jean Bouchard.«
Er schaute mich mißtrauisch an.
»Kenn’ ich nicht. Was wollen Sie denn von uns?«
»Ich habe meinen Bruder Alexandre Bouchard erschossen. Man sucht mich doch.«
Er stand langsam auf, legte den Bleistift und das Messer vorsichtig auf den Tisch und trat an den Schalter.
»Wer sind Sie?«
»Jean Bouchard, der gesuchte Mörder.«
»Jean Bouchard«, murmelte er, »Jean Bouchard — ah — jetzt weiß ich, — ja, ja! — So, Sie sind dieser Jean Bouchard?«
»Jawohl.«
Er hielt mir seine Hand hin, die knollige, runzelige Hand eines Bauern. »Geben Sie mir Ihre Papiere!«
»Ich habe keine. Die hat mir die Polizei schon abgenommen.«
Er schaute mich voller Unglauben an und schien einen Ulk zu vermuten.
»Ich scherze nicht«, wiederholte ich, »ich möchte mich freiwillig stellen.«
Er öffnete einen Einlaß in seiner Barriere.
»Kommen Sie mal rein und setzen Sie sich da hin!«
Er rückte einen Stuhl neben seinen Schreibtisch und setzte sich ebenfalls wieder. Dann entfernte er von einer Schreibmaschine den schwarzen Wachstuchüberzug.
»Ich muß ein Protokoll aufnehmen.« Mühsam klaubte er zwei Bogen Papier und ein Kohlepapier aus einer Lade. Es dauerte noch eine Weile, bis das Papier ordentlich in der Maschine saß.
»Wir müssen von allem sofort ein Protokoll aufnehmen, eine lausige Schreiberei ist das. Früher wurde ein Verbrecher einfach eingesperrt, und damit basta.«
Nach dieser Erklärung schien er endlich soweit zu sein, eine Amtshandlung vornehmen zu können.
»Also schreiben wir!« ermunterte er sich selbst. »Was schreiben wir denn? — Schreiben wir mal zuerst die Überschrift.«
Er tippte mit zwei Fingern das Wort >Protokoll<.
»Ist nicht ganz genau in der Mitte«, bemerkte er, »aber es wird schon gehen. Schließlich bin ich Polizist und kein Schreiber. — Schreiben wir vielleicht: Ich, der Endesunterzeichnete — oder nein, das machen wir einfacher. Warten Sie — so: Heute, am soundsovielten — das Datum steht dann ja extra drunter —, also: Heute, um — « er schaute eine Weile auf die Uhr — »heute, um siebzehn Uhr zwanzig erschien auf dem hiesigen Polizeirevier der — sind Sie ledig oder verheiratet?«
»Ledig.«
Ein mißbilligender Blick streifte mich; man ist der Polizei immer verdächtig, wenn man nicht schon längere Zeit verheiratet ist und Kinder hat.
»- der ledige — wie ist Ihr Name — , Vor- und Zuname?«
»Jean Bouchard.«
»Aha! — Jawohl, ganz richtig, jetzt erinnere ich mich wieder — da haben wir etwas vorliegen, stimmt! — der ledige Bouchard — geboren am?«
»Achtzehnten siebenten, neunzehnhundertelf!«
»Wo?«
»In Paris.«
»- in Paris und erklärt, daß er mit dem gesuchten — nein, so nicht.«
Er strich das letzte Wort aus und fuhr fort:
»- daß er mit dem wegen Mordes gesuchten Jean Bouchard identisch ist. Er wurde nach Abgabe dieser Erklärung in Polizeigewahrsam genommen.«
Ich überlegte, daß er sich die ganze Arbeit umsonst gemacht hätte, wenn ich nun aufstünde und einfach wieder ginge.
»So«, sagte er und schraubte das Papier vorsichtig aus der Maschine, »so, das hätten wir also. Jetzt müssen Sie hier unterschreiben.«
Er legte mir das Geschriebene hin und drückte mir eine Feder in die Hand.
»Aber bitte erst lesen! — Hinterher kann nichts mehr geändert werden.«
Ich las und unterschrieb.
Er legte das Protokoll beiseite und sagte freundlich: »Jetzt nehmen Sie mal alles aus den Taschen, was Sie drin haben.«
Als erstes legte ich Alexandres kleinen Browning auf den Tisch.
»Oha!« machte er. »Haben Sie einen Waffenschein?«
»Nein.«
Er schüttelte den Kopf und beobachtete, was weiter zum Vorschein kam. Er war offenbar enttäuscht, daß ich nicht noch irgendwo ein Messer oder einen Dolch stecken hatte.
»Was ist denn das?« fragte er.
»Das sind Quittungen, sie sind ein wichtiges Beweismittel.«
»Es wird alles registriert.« Tatsächlich legte er eine Liste der Dinge an, die ich aus meinen Taschen zutage gefördert hatte; er schrieb auch den genauen Betrag meines Geldes auf.
Als das beendet war, kratzte er sich eine Weile am Kopf.
Dann meinte er:
»Es ist schon so elend spät. Ich weiß nicht — ich weiß nicht, ob ich noch jemanden erreiche.«
Während er eine Nummer wählte, schaute er mich vorwurfsvoll an; ich hätte mich auch wirklich
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