Die Nacht in Issy
Ich dachte an das Gespräch mit dem Geistlichen.
>Das Gesetz ist wie eine Maschine<, hatte ich zu ihm gesagt.
>Maschinen sind immer objektiv. Sie funktionieren, oder — <
Ich hatte seine Karte fortgeworfen. Vielleicht hätte ich ihn jetzt besucht, wenn ich seine Adresse gewußt hätte.
Ich rauchte in Ruhe eine Zigarette zu Ende, dann bummelte ich die Seine entlang. Es war der gleiche Weg wie Freitag nacht.
Und wieder blieb ich eine Weile stehen und schaute zu, wie die Lastkähne entladen wurden. Nach einer Weile ging ich weiter und nahm ein Taxi. Ich ließ mich zum Westbahnhof fahren. Unterwegs riß ich mein Jackenfutter auf und holte den Gepäckschein heraus.
»Warten Sie auf mich«, sagte ich zu dem Fahrer, »ich bin gleich wieder zurück.«
Ich löste den kleinen Pappkoffer ein und nahm ihn mit zum Taxi.
»In die Avenue Gabriel«, befahl ich, »das Haus der Metro Goldwyn Mayer.«
Er nickte und fuhr los.
Die Quittungen von Carrel Patisse steckte ich in meine Tasche, alles andere tat ich in den Umschlag zurück. Und dann genoß ich diese Fahrt durch Paris.
Endlich hielt das Taxi vor Germaines Haus in der Avenue Gabriel.
»Fahren Sie hinein«, sagte ich, »bis zur Haustür!«
Ich bezahlte, und während ich die Treppe hinaufstieg, hatte ich furchtbare Angst, Germaine könnte nicht zu Hause sein.
Auf mein Klingeln öffnete wieder der alte Herr. Er schien mich zu erkennen, jedenfalls fragte er sofort:
»Zu Mademoiselle Mignard, nicht wahr?«
»Ja, bitte! Aber ich möchte nicht hinein, würden Sie sie wohl herausrufen?«
Er wandte sich wortlos um. Ich stand vor der Tür und wartete.
Und dann kam sie. Staunen lag in ihren hellen Augen, als sie mich sah.
»Sie, Jean? Warum — «
»Nicht, Germaine — es ist besser so.«
Ich hielt ihr den Umschlag hin.
»Hier«, sagte ich, »das ist für Sie. Es sind die Papiere. Machen Sie damit, was Sie für richtig halten.«
»Nein«, rief sie, »das — das dürfen Sie nicht! — Ich will sie nicht — nein! Nein!«
Ich drückte sie ihr einfach in die Hand.
»Ich will sie auch nicht, Germaine — es ist schon recht so.«
Sie war sehr blaß.
»Warum tun Sie das?« fragte sie leise.
»Weil ich dich liebe, Germaine«, gestand ich ihr, und dann drehte ich mich um und rannte die Treppe hinunter. Ich rannte, als ob alle Teufel hinter mir her wären. Erst unten, beim Pförtner, ging ich wieder langsam.
Es war mir merkwürdig leicht zumute, als ich die Place de la Concorde überquerte. Ich bog nach links ab und ging an der Seine entlang. Am Pont Royal blieb ich stehen und holte Germaines Bild, das ich bei Alexandre gefunden hatte, aus der Tasche. Ich riß es in kleine Fetzen und warf sie in den Fluß. Eine Weile schaute ich zu, wie das Wasser mit den weißen Schnitzeln spielte. Dann konnte ich sie nicht mehr sehen.
Ich bummelte langsam weiter bis hinunter zum Pont Neuf. Dort schaute ich den Fischern eine Weile zu. Einer von ihnen stand etwas abseits. Er sah ziemlich verlumpt aus — wahrscheinlich ein Arbeitsloser. Ich stellte mich zu ihm. Er nahm keine Notiz von mir, sondern verfolgte mit träumenden Augen den kleinen, roten Schwimmer, der unten auf dem Wasser auf- und abtanzte.
»Arbeitslos?« fragte ich.
Er warf mir nur einen kurzen Blick zu, spuckte ins Wasser und beobachtete weiter seinen Schwimmer.
»Ich hätte etwas für dich«, sagte ich, »ein kleines Geschäft.«
Er schnaubte durch die Nase.
»Pfeif’ ich drauf!«
»Tausend Francs«, lockte ich, »sie sind in einer halben Stunde verdient.«
Er schaute mich wieder an. Er war höchstens zwanzig Jahre alt.
»Nee, Monsieur, krumme Sachen is nichts drin. Bei mir nicht. Hab’ ich gar nicht nötig.«
»Es ist keine krumme Sache«, erklärte ich, »du brauchst bloß mitzukommen und mich bei der Polizei abzuliefern.«
Er musterte mich wieder kurz, dann rückte er einen Meter von mir weg.
»Steig mir den Buckel nauf!«
Ich ging weiter. Ich hätte gern einen armen Teufel die Belohnung verdienen lassen. Ich hätte es auch gern gesehen, wenn Labourusse sie hätte bezahlen müssen, wenn auch tausend Francs für ihn kein Geld waren. Ich schnippte die Manschettenknöpfe nacheinander in die Seine.
In der Rue des Sts. Pères meldete ich mich auf dem Polizeirevier elf.
Ich trat an die Barriere. Ein älterer Polizist saß an einem Schreibtisch und spitzte einen Bleistift an. Er schob seine randlose Brille hoch und schaute mich an. Er schien ärgerlich zu sein, daß man ihn bei seiner wichtigen Arbeit
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