Die Nacht in Issy
ein paar Stunden früher melden können!
Es schien aber tatsächlich noch jemand dort zu sein, und anscheinend sogar ein ziemlich energischer Herr; denn als das Gespräch beendet war, kramte er in seiner Schublade und brachte eine Handfessel zum Vorschein.
»Ich muß das leider«, entschuldigte er sich, »es ist bei schweren Delikten Vorschrift, ich bekomme sonst nur einen Rüffel.«
Ich hielt ihm die Hände hin, und er ließ das Schloß einschnappen. »Ist ja in diesem Falle überflüssig, nicht wahr? Sie hätten sich ja nicht freiwillig gemeldet, wenn Sie was vorgehabt hätten.«
»Darf ich rauchen?« fragte ich. Auf dem Tisch lagen meine Zigaretten.
»Hm — «, machte er und bohrte nachdenklich in der Nase, »ich weiß eigentlich nicht — aber — na ja, wenn der Inspektor kommt, schmeißen Sie sie gleich weg.«
Er nahm für mich eine Zigarette heraus und gab mir Feuer.
Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schaute mich an. Es war etwas unendlich Gutmütiges in diesem Blick. Dann nickte er mir zu: »Ja, ja.«
»Was geschieht nun weiter mit mir?« wollte ich wissen.
»Man wird Sie abholen, der Wagen wird bald hier sein.«
Er faltete die Hände vor seinem Bäuchlein und schaute mich wieder unverwandt an. Dann schüttelte er den Kopf.
»Hm!« seufzte er. Irgend etwas schien ihm nicht in den Kopf gehen zu wollen.
Wir schwiegen uns lange an, endlich sagte er:
»Was ich nicht begreife: Warum haben Sie sich hier gemeldet? Sie hätten doch auch gleich in die Préfectur gehen können.«
»Es lag mir am günstigsten«, gestand ich.
»Eigentlich«, sagte er, »sind Mörder sehr selten. Ich mache jetzt siebenunddreißig Jahre Dienst, aber ich habe erst einmal einen gesehen — Sie sind der zweite. Das war im Jahre neunzehnhundertfünfundzwanzig. Er hatte sein Mädchen erstochen, die Nachbarn haben uns alarmiert, und wir erwischten ihn gleich. Er hatte sich im Keller unter den Kohlen versteckt, und als wir ihn herauszogen, schlug er um sich wie verrückt — ja, im Juni.«
Er schwelgte offensichtlich in seinen heroischen Erinnerungen, die durch das Aufheulen einer Polizeisirene jäh unterbrochen wurden.
Ein Polizist und ein Mann in Zivil kamen herein. Ich hatte meine Zigarette unter den Tisch geworfen und sie ausgetreten.
Der Polizist, der mich vernommen hatte, wollte etwas erklären; aber der Mann in Zivil kam sofort auf mich zu: »Sie sind Jean Bouchard?«
»Ja.«
»Kommen Sie mit!« sagte er nur. Der Polizist vom Revier nahm mir die Handfessel ab, und der andere Polizist schloß mich an eine, die er mitgebracht hatte. Er fesselte mich mit meinem linken Handgelenk an sein rechtes.
Es wurde noch ein Übergabeschein ausgestellt, den der Inspektor unterschrieb, dann führten sie mich hinaus, wo der Wagen wartete.
Ein paar Leute hatten den Polizeiwagen erkannt und standen herum, um zu sehen, was es gäbe.
Der Polizist und ich stiegen hinten ein, der Inspektor setzte sich vorn neben den Fahrer.
Auf dem Weg zur Préfectur wurde kein Wort gesprochen.
Man führte mich zwei Treppen hinauf bis zu einer Tür, auf der ein Pappschild befestigt war.
M – 1
Lamin, Inspecteur
»Losschließen!« sagte der Inspektor, »warten Sie hier draußen!«
Der Polizist gab mich frei und setzte sich vor der Tür auf eine Bank. Der Inspektor ließ mich eintreten.
»Setzen Sie sich, Monsieur Bouchard!«
Ich setzte mich auf einen Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.
Inspektor Lamin war noch nicht alt, eigentlich war er ziemlich jung. Höchstens fünfunddreißig. Er war gut angezogen und sah nicht nach Polizist aus; sein Kopf war lang und schmal, seine Haare und Hände gepflegt, seine Krawatte tadellos gebunden, kurz, er war sympathisch.
Vor allem war er ganz anders als jener Inspektor, der mich damals, vor neun Jahren, in der Mache gehabt hatte. Dieser Kerl — ich habe seinen Namen vergessen — war von vornherein wütend gewesen, daß es Leute gab, die überhaupt auf die Jagd gingen.
Lamin zog das Protokoll aus der Tasche.
»Ihre Angaben stimmen?« fragte er.
»Ja.«
»Sie wußten, daß wir Sie suchen?«
»Natürlich.«
»Warum haben Sie sich freiwillig gemeldet? Nach den Fotos, die wir von Ihnen veröffentlicht haben, wären Sie nur schwer zu erkennen gewesen.«
»Ich weiß, aber ich hielt es nicht mehr aus.«
Er blickte mich zum erstenmal an. Seine Augen waren grau und klar. Es lag nichts von jener Selbstgefälligkeit in seinem Blick, der mir zur Genüge bekannt war.
»Warum haben Sie Ihren
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