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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Bruder erschossen?«
    »Er hat mich ins Zuchthaus gebracht. Er hat mich seinerzeit beschuldigt, meinen Vater erschossen zu haben. Er hat einen falschen Zeugen bezahlt. Die Quittungen liegen bei den Sachen, die man mir abgenommen hat.«
    Er hörte mir still und aufmerksam zu.
    »Das ist ein anderer Fall, ich weiß so ziemlich Bescheid. Sie haben es also getan, um sich zu rächen?«
    »So kann man es nennen. Ich habe neun Jahre Zuchthaus verbüßt, für etwas, was ich nicht getan habe. — Man könnte das vielleicht mit meiner jetzigen Tat ausgleichen.«
    Er lächelte ein wenig.
    »Sie sind zu intelligent«, sagte er ruhig, »um selbst daran zu glauben. — Erzählen Sie mir nun bitte, wie Sie es ausgeführt haben. Wollen Sie eine Zigarette?«
    Er bot mir an, und ich rauchte.
    »Ich fuhr nach Issy hinaus und — «
    »Halt«, unterbrach er mich, »bitte ganz von vorn. Vom Tage Ihrer Entlassung an. Sie machten bei Ihrer Entlassung eine falsche Angabe. Hatten Sie damals schon vor, Ihren Bruder zu erschießen?«
    »Ich glaube ja. Ich hatte neun Jahre Zeit, mir das in den Kopf zu setzen. Vielleicht halten Sie das für roh oder ungebildet, aber Sie haben vermutlich noch nie in einem Zuchthaus gesessen, neun Jahre, unschuldig.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Als Sie sich nicht fotografieren ließen, taten Sie es also schon mit dem Vorbedacht, sich dadurch einer Festnahme nach der Tat zu entziehen?«
    »Das nicht gerade«, berichtigte ich, »man tut sowas aus Prinzip, wenn man diese Schule hinter sich hat. — Sie möchten gern einen vorbedachten Mord herausbringen, nicht?«
    »War es das nicht?«
    »Ich weiß nicht. Sie werden es wohl so nennen.«
    »Erzählen Sie weiter!«
    Ich erzählte ihm, wie ich ohne Geld in Paris ankam. Wie ich von Gustave aufgenommen wurde — natürlich nannte ich weder Namen noch Adresse — , und wie ich Alexandre beobachtet hatte.
    »Und dann«, erzählte ich weiter, »fuhr ich am Freitag abend nach Issy, das heißt, ich ging, weil ich kein Fahrgeld mehr hatte. Ich wartete, bis Alexandre kam, und dann schoß ich auf ihn. Er war sofort tot, und — «
    »Wo standen Sie, als Sie den Schuß abgaben?«
    »Im Gebüsch, neben der Garagentür.«
    »Und dann schossen Sie?«
    »Ja, als er gerade die Garagentür öffnen wollte.«
    »Woran merkten Sie, daß er sofort tot war?«
    »Mein Gott, das sah ich eben.«
    »Weiter! Was taten Sie dann?«
    »Ich richtete ihn ein wenig auf und ließ den Wagen auf ihn rollen.«
    »Warum haben Sie das getan?«
    »Es hätte möglich sein können«, sagte ich und lächelte, »daß man es für einen Unfall hielt. Ich wäre gern ungeschoren geblieben und hatte gehofft, die Erbschaft antreten zu können.«
    Er schüttelte unmerklich den Kopf.
    »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß Sie so ausgekocht sind, wie Sie sich jetzt aufspielen. — Weiter, bitte!«
    »Ich hatte seine Brieftasche untersucht. Ich nahm etwas von seinem Geld, und dann lief ich davon.«
    »Sie kamen dann in die Rauferei, wo man Ihnen Ihre Papiere, das Geld und die Pistole abnahm?«
    »Genau so war es.«
    »Und dann?«
    »Und dann?« wiederholte ich. »Da ist nicht mehr viel zu sagen. Ich trieb mich in Paris herum, ich wollte flüchten, ins Ausland. Aber ich hatte ja kein Geld. Ich wurde immer nervöser. Das ist alles.«
    »In der Nacht«, sagte er, »die dem Mord folgte — also Samstag auf Sonntag, wurde in Monsieur Bouchards Haus eingebrochen. Wissen Sie etwas davon?«
    »Keine Ahnung. Wurde es denn nicht bewacht?«
    Er überhörte meine Frage und machte sich einige Notizen. Plötzlich fragte er:
    »Was für eine Pistole hatten Sie?«
    »Eine belgische FN, Kaliber sieben Komma fünfundsechzig.«
    »Ganz richtig. Wissen Sie zufällig die Nummer?«
    »Nein, dafür habe ich mich nie interessiert.«
    »Woher hatten Sie die?«
    »Soll ich Sie anlügen, oder verzichten Sie auf eine Antwort?«
    Er nickte mir lächelnd zu.
    »Wenn Sie nichts sagen wollen, kann ich Sie nicht zwingen. Aber gerade an dieser Frage liegt mir sehr viel.«
    »Es gibt so viele Möglichkeiten«, sagte ich, »sich in Paris eine Pistole zu verschaffen.«
    »Ich weiß, Monsieur Bouchard. Aber sie kosten viel Geld; eine FN wird zur Zeit mit etwa zehntausend Francs schwarzgehandelt. Woher hatten Sie soviel Geld?«
    »Ich bekam sie billiger«, log ich. Es war mir rätselhaft, warum er gerade auf der Pistole herumritt.
    »Na schön«, meinte er, »ich denke, daß es für heute genügt. Beschwerde gegen Ihre Haft werden Sie kaum einlegen

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