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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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»was gibt’s da schon zu erzählen? Wir haben einen Gemüseladen in der Rue Stendhal, gleich hinter dem Père Lachaise, weißt du? Aber ich wollte nicht immer nur Kartoffeln verkaufen und Rotkohl und Salat. Den ganzen Tag buddelt man im Schmutz, für die paar Sous! Nein, das wollte ich nicht. Und wollene Strümpfe, Unterwäsche und Baumwolle — brr! Nein, das ist nichts für mich.«
    »Möchtest du nicht wieder zurück?«
    »Zurück?« fragte sie erstaunt. »Aber warum denn? Ich verdiene doch nicht schlecht. Und ich bin noch nicht alt, zu mir sind sie immer nett.«
    »So«, sagte ich und hatte einen etwas bitteren Geschmack im Munde, »so, zu dir sind sie immer nett.«
    Sie fiel mir um den Hals und küßte mich.
    »Natürlich nicht so wie du«, flüsterte sie, »bei dir ist alles anders.«
    Es klopfte, und sie schlüpfte rasch ins Bett und zog die Decke hoch.
    Ein Zimmermädchen kam mit dem Frühstückstablett herein. Sie wünschte einen guten Morgen und stellte das Tablett und die Blumen auf den Tisch.
    »Haben die Herrschaften sonst noch Wünsche?«
    »Ja«, sagte ich, »stellen Sie eine Flasche Sekt kalt und bringen Sie sie in einer halben Stunde herauf.«
    Als sie gegangen war, fragte Constance:
    »Also stimmt’s doch? — Du bist heute so gut aufgelegt.«
    »Was? — Was stimmt?«
    »Du hast den Mörder gefunden, ja?«
    »Ja.«
    »Herrlich«, rief sie, »dann kann dir ja nichts mehr geschehen! Erzähl doch! — Wer ist es?«
    »Eine Frau.«
    »Eine Frau? Aus Eifersucht?«
    Ich nickte.
    »Ach — sowas! Ist es die, von der du ein Bild hast?«
    »Ja.«
    »Hm!« machte sie und schlug einem weichen Ei das Käppchen ab, »sie ist sehr schön, aber nicht mein Typ. Nun wird man sie einsperren?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Hm!«
    Ich sah, daß sie dieser Gedanke sehr beschäftigte.
    Wir aßen die Eier, den Schinken und Käse. Zum Schluß noch etwas Obst.
    »Vielleicht«, sagte sie plötzlich, »würde ich einen Mann auch umbringen, wenn er mich betrügt. Er müßte es mir sagen, wenn er eine andere lieber mag; aber er dürfte es nicht heimlich tun.«
    Sie legte sich in die Kissen zurück, satt und zufrieden.
    Der Sekt wurde gebracht. Ich schenkte ein.
    »Oh, schade«, sagte Constance, »er hat gar nicht richtig geknallt. Ich kannte jemanden — «
    Sie brach ab, und ich fragte sie auch nicht.
    Wir stießen an, dann begann ich:
    »Ich muß dir jetzt etwas sagen, Constance.«
    »Du willst mich verlassen, nicht?« fragte sie und deutete auf die Blumen.
    »Ich muß ins Ausland.«
    »Warum? — Ich denke, du weißt, wer der Mörder ist?«
    »Ja, ich weiß es schon, aber die Polizei weiß es nicht, und ich habe keine Beweise. Ich kann so nicht weiterleben, ich muß fort.«
    »Natürlich, das ist klar. Aber hast du einen Paß?«
    »Ich bekomme ihn.«
    »Wann?«
    »Heute.«
    Sie erschrak.
    »Heute noch? Du willst heute noch fort?«
    »Ja. Mir brennt der Boden unter den Füßen. Jede Stunde ist wichtig.«
    »Ja, natürlich. — Aber es ist nett von dir, daß du Sekt bestellt hast.«
    Wir tranken unsere Gläser aus, und ich füllte sie wieder.
    »Zeig mir noch mal das Bild!« bat sie plötzlich.
    Ich holte es aus der Tasche und gab es ihr. Sie betrachtete es lange und aufmerksam.
    Dann betrachtete sie mich ebenso lange und ebenso aufmerksam.
    Sie sah mich an.
    »Du hast dich in die verliebt, Jean?«
    »Ich glaube — ja.«
    Sie nickte und gab mir das Bild zurück.
    »Sonst wärst du nämlich hiergeblieben«, sagte sie. Und nach einer Weile fügte sie hinzu:
    »Aber nun kriegt sie dich ja auch nicht.«
    Es war mittlerweile drei Uhr geworden. Ich mußte gehen.
    Ich zählte den Rest meines Geldes; es waren noch fast vierzigtausend Francs.
    Ich behielt knappe fünfhundert, das andere gab ich Constance.
    »Ich bekomme nicht nur einen Paß und das Visum«, sagte ich, »sondern ich bekam auch einen Haufen Geld. Hier, das gehört dir, ich hab’ noch genug.«
    Sie nahm es ohne zu zögern, aber sie sagte kein Wort dazu.
    Ich stand auf.
    »Vielleicht«, tröstete ich sie, »später einmal, wenn ich nach Paris zurück kann, werde ich dich wiedersehen.«
    »Ach, Blödsinn!« sagte sie und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.
    Ich beugte mich zu ihr hinunter, küßte ihr Haar und streichelte ihr über die zuckenden Schultern. Dann ging ich leise hinaus.

10

    Ich ging die Rue Mirabeau hinunter bis zur Seine, und dann über den Pont de Grenelle. Am Port de Javel setzte ich mich auf die gleiche Bank, auf der ich am Freitag nacht gesessen hatte.

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