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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Papiere mitbringen.«
    »Nein!« rief sie entsetzt, »nein, tun Sie das nicht. — Bitte! — Ich — ich — ich soll Sie ja dazu überreden, es zu tun! Labourusse will es so. — Bitte, tun Sie es nicht! Ich kann ihm sagen, daß Sie nicht gekommen wären, oder sonst was! Sie müssen sie behalten! Sie dürfen sie nicht aus der Hand geben!«
    »Germaine!« rief ich, urplötzlich überwältigt von der Erkenntnis, daß sie mich decken wollte, daß sie mich liebte! »Germaine!«
    »Bitte nicht!« flüsterte sie. »Bitte — jetzt nicht!«
    Nun war ich es, der ruhelos im Zimmer auf- und abging.
    »Bitte, Germaine — rufen Sie ein Taxi an! — Ich muß weg. Sofort!«
    Sie ging schweigend hinaus.
    Nun wußte ich alles. Ich wußte, wer Alexandre ermordet hatte — ich wußte, daß sie mich liebte, und ich wußte, daß auch ich sie liebte. Welch erstaunlicher Irrgarten war das! Und wie konnte man da herauskommen?
    Als das Taxi kam, bat ich sie, mit mir zu fahren, nur ein kleines Stück, aber ich wollte unbemerkt hinauskommen. Ich nahm an, daß Labourusse das Haus bewachen lassen würde.
    Wir gingen miteinander hinunter. Sie stieg ein, und ich sprang rasch zu ihr in den Wagen. Dann duckte ich mich auf den Boden, während das Taxi durch den Garten auf die Straße fuhr. Erst zwei Häuserblocks weiter kam ich hoch.
    Wir fuhren noch ein Stück zusammen, dann stieg sie aus.
    »Werden Sie kommen?« fragte sie.
    »Natürlich«, versprach ich.

9

    Ich öffnete leise die Tür, die nicht verschlossen war. Constance schlief noch. Sie hatte alle Decken von sich gestrampelt und lag zusammengeringelt wie ein Igel; die Kopfkissen hielt sie im Arm.
    Ich setzte mich zu ihr auf den Bettrand. Sie blinzelte mich schlaftrunken an, doch dann richtete sie sich mit einem jähen Ruck hoch.
    »Warst du schon fort? — Bist du schon wieder da?«
    »Ja«, sagte ich, »es ist gleich zwei Uhr.«
    »Zwei Uhr?« fragte sie ungläubig. »Das gibt’s doch gar nicht! Oh, wie schade! ich wollte schon fertig sein, wenn du zurückkommst.«
    Und dann kuschelte sie sich an mich und sagte:
    »Ich bin so froh, daß dir nichts passiert ist. — Mußt du heute noch mal weg?«
    »Ja — später.«
    Sie schaute mich ängstlich an.
    »Was hast du vor?«
    »Darüber sprechen wir nachher. — Jetzt werden wir erst mal frühstücken. Wie Fürsten werden wir frühstücken. Ich lasse es aufs Zimmer kommen.«
    Sie klatschte in die Hände und sprang aus dem Bett.
    »Fein«, rief sie, »auf dem Zimmer frühstücken — bedient werden wie eine große Dame.«
    »Ja«, sagte ich, »du kannst sogar im Bett bleiben. — Ich will es mal bestellen.«
    Ich ging hinunter und bestellte das Frühstück, ein englisches Frühstück, und außerdem ließ ich ihr ein paar Blumen besorgen.
    Als ich wieder hinaufkam, hatte sie sich gewaschen und sah nett aus. Das lange Schlafen hatte ihr sichtlich gut getan, und das geschwollene Auge war viel besser.
    »Es ist herrlich hier«, schwärmte sie, »es ist das erstemal, daß ich in einem anständigen Hotel übernachtet habe, so richtig, weißt du?«
    Lieber Gott — das nannte sie ein anständiges Hotel! Ich hatte keinen Grund, ihr diese Illusion zu rauben.
    »Bleiben wir noch länger hier?« fragte sie.
    »Kann sein«, sagte ich nur. Ich wollte ihr erst nach dem Frühstück sagen, was ich vorhatte.
    Sie zog die Stirn zusammen und schaute mich besorgt an.
    »Aber was wird nun aus deiner Sache? Irgend was muß doch geschehen?«
    »Ich weiß schon, was«, sagte ich, »aber ich habe schrecklichen Hunger, ich möchte erst frühstücken.«
    Sie lief ans Fenster. Vorsichtig spähte sie durch den dünnen Vorhang.
    Die Rue Mirabeau lag in friedlicher Mittagsruhe. Eine Schar Kinder spielte mit Murmeln. Alles atmete Stille und Unbekümmertheit; es war nicht zu denken, daß es Polizei, Mörder, Verfolger und Verfolgte gab.
    »Magst du Kinder?« fragte sie mich.
    »Ich — ich weiß nicht, Constance — ich habe noch nie darüber nachgedacht.«
    Sie lachte.
    »Muß man darüber erst nachdenken? Ein Mann vielleicht. Ich nicht. Ich wäre froh, wenn ich — aber natürlich nicht jetzt.«
    »Du wirst eines Tages heiraten und Kinder haben.«
    Sie zuckte mit den Achseln.
    »Vielleicht! — Manchen gelingt es.«
    Ich wußte nichts von ihr, gar nichts, und ich fragte sie. Ich war neugierig, ob sie mir das Übliche erzählen würde: unglückliche Ehe der Eltern, unglückliche erste Liebe, verführt worden — ausgestoßen und dann auf der Straße.
    »Ach«, sagte sie,

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