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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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anstellen. Die Zusammenarbeit mit einem führenden Immunologen wie Goodman hatte zu den wenigen Dingen gehört, die dieses ›Projekt‹ für sie hätten erträglich machen können. Und sein Tod hatte sie, die zweite Expertin, widerstrebend an die Spitze gebracht.
    Und dann war da noch ihr eigenes Motiv. War es mehr oder weniger glaubwürdig als die Geschichten, die sie sich für die anderen zurechtgelegt hatte? Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, aber in den langen Stunden der Untätigkeit kehrte ihr Verstand immer wieder zu dieser Frage zurück und nagte an ihr, als wäre es eine Formel, die keinen Sinn ergeben wollte, oder eine geheime Zelle, die man bei wiederholter Betrachtung doch noch ausfindig machen konnte. Aber es gab nichts Geheimnisvolles daran – nur eine schreckliche Logik.
    Wenn Hanick Schulden hatte, dann hatte sie die auch. Es waren zwar die Schulden ihres Vaters, die vor vierzig Jahren in einem anderen Land aufgehäuft wurden. Deshalb waren sie nicht weniger drückend. Sie hatte bis vor drei Monaten nichts davon gewusst, bis ihr Vater sie in das Haus ihres Bruders gerufen hatte, wo er jetzt lebte. Sie war hingegangen in der Erwartung, sich nur wieder seine flehentlichen Bitten anhören zu müssen, doch endlich zu heiraten, oder die verworrener werdenden Klagen eines alten Mannes über die Falschheit undankbarer Söhne und parvenuhafter Ehefrauen.
    Stattdessen saß ihr Vater in seinem Zimmer im ersten Stock, mit Anzug und Krawatte bekleidet, und klammerte sich an die brüchige Würde, von der sie vergessen hatte, dass er sie besaß. Neben ihm saß ein Mann in mittleren Jahren mit glatten, undurchschaubaren Zügen und kalten Augen.
    »Das ist Mr. Moro«, sagte ihr Vater. Nach einigen Höflichkeitsfloskeln servierte sie den Tee, den er bereitgestellt hatte, und wartete dann, sich fragend, was ihr Vater beabsichtigte. Keine arrangierte Ehe, das ganz sicherlich nicht. Die kalten, schwarzen Augen, die sie beobachteten, blickten gierig, aber, so entschied sie, nicht nach ihrem Körper. Schließlich, nachdem die Rituale des Tees und der Konversation befriedigt waren, ergriff ihr Vater das Wort: »In Japan nach dem Krieg war mir Mr. Moros hochgeschätzte Organisation in großem Maße behilflich. Jetzt habe ich Gelegenheit, diese Schuld zurückzuzahlen.«
    »Wie?« Ihr Vater leitete die Frage mit einem Blick an Mr. Moro weiter.
    »Eine Organisation, mit der wir Geschäfte machen, hat sich nach den Diensten eines qualifizierten und erfahrenen Immunologen für ein vertrauliches Forschungsprojekt erkundigt. Solche Fachleute sind selten. Wenn Sie sich dazu bereiterklären könnten, derartige Dienste zu leisten, wären wir Ihnen sehr verbunden.«
    »Forschungen welcher Art?« Er zuckte die Achseln und spreizte die Hände. Dabei rutschten seine Manschetten hoch, so dass man die Tätowierung an einem seiner Handgelenke erkennen konnte. Sie war sich sicher, dass er das beabsichtigt hatte. »Und was ist, wenn ich nicht imstande bin, mich zu beteiligen?«, fragte sie vorsichtig.
    »Eine unbeglichene Schuld ist eine große Last. Sie würde zweifellos schwer auf dem Herzen Ihres Vaters lasten, wenn er sterben und uns immer noch diese Gefälligkeit schulden sollte. Das würde seiner Familie große Unehre bringen. Und vielleicht auch großes Unglück.«
    Sie dachte kurz daran, sich zu verweigern, die Polizei zu rufen, zu fliehen. Aber nur kurz.
    »Das könnte ich nicht zulassen«, sagte sie schließlich. Es gab noch weitere rituelle Höflichkeitsbezeugungen, dann einen höflichen Hinweis auf die Uhrzeit und Mr. Moros liebenswürdiges Angebot, sie zu ihrem Wagen zu begleiten. Sie war sorgfältig bedacht, ihren Vater nicht anzusehen, damit er den Zorn in ihren Augen nicht sehen konnte, und sie nicht die Sorge in seinen.
    Mr. Moros Wagen parkte am Randstein. Hinter dem trüben Glas sah sie die schattenhafte Silhouette eines Fahrers. »Hier ist die Nummer des Mannes, mit dem Sie Verbindung aufnehmen müssen. Er wird Ihren Anruf heute Abend erwarten. « Er sprach Englisch und reichte ihr eine Visitenkarte, die sie wegsteckte, ohne sie anzusehen.
    »Sie gehören zur Yakuza «, sagte sie, und er gab keine Antwort, als hätte sie ihn damit beleidigt, dass sie das Offensichtliche ausgesprochen hatte.
    »Die andere Nummer auf der Karte ist die eines unserer Männer. Sie werden ihn über die Fortschritte Ihrer Arbeit auf dem Laufenden halten. Wenn unsere Geschäftspartner etwas von Wert entdecken, wollen wir es haben.« In

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