Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
besorgen?«, erkundigte sich Rossokow, und Mickey musste den Kopf schütteln.
»Nein. Nicht zu dieser nächtlichen Stunde.« Was ich eigentlich hören wollte war, dass wir keine brauchen werden, dachte er bedauernd. »Nun, dann lassen Sie uns gehen. Wenn wir vor denen dort sein wollen, sollten wir jetzt zusehen, dass wir hier wegkommen.«
Die Anweisungen waren eindeutig gewesen. Ardeth und Rossokow sollten außerhalb eines verlassenen einstöckigen Gebäudes warten, das völlig isoliert mitten auf dem Eisenbahngelände lag. Das Gelände wiederum lag in einem Grünstreifen, wo Stahl vor sich hinrostete und kurzes Gras wuchs, eingeklemmt zwischen der auf Betonpfeilern gebauten Autobahn und den Bürotürmen des Stadtkerns. Das Gebiet wartete darauf, neu erschlossen zu werden. Bei Tageslicht würden Tausende von vorbeifahrenden Autofahrern sie sehen können, aber in der Dunkelheit vor Anbruch der Morgendämmerung würden nur ein oder zwei Trucker auf dem leeren Gelände Bewegung wahrnehmen.
Die nächste Stelle, wo man den Van verstecken konnte, lag eine halbe Meile entfernt im Schatten einer Überführung. Mickey musste mit ausgeschalteten Scheinwerfern über ein leeres Feld fahren, um die schützende Dunkelheit zu erreichen. Zu seiner eigenen Überraschung ertappte er sich dabei, wie er die ganze Strecke lautlos betete. Um welchen Gott es sich auch immer handelte, zu dem er betete, jedenfalls schienen ihm die blasphemischen Flüche, mit denen er sein Gebet würzte, nichts auszumachen: Sie schafften es bis zu der Überführung, ohne einen Reifen zu verlieren.
»Da sind wir«, sagte er und sah sich zu den zwei Gestalten um, die auf der hinteren Bank des Van kauerten. »Es ist etwa fünf Uhr.«
»Ich sollte jetzt besser gehen«, sagte Ardeth mit angespannter Stimme. Rossokow streckte die Hand aus und strich ihr übers Haar, und Mickey wandte sich ab, versuchte, nicht zu hören, was sie sagten, oder sie im Rückspiegel zu beobachten.
»Denk an das Verlies«, flüsterte der Mann, und sein grauer Haarschopf beugte sich dicht zu dem ihren. »Wir haben überlebt. Wir werden auch dies hier überleben.« Mickey hörte, wie sie tief Luft holte.
»Sie werden brennen, und wir werden frei sein.«
»Ja, meine Geliebte, meine Rettung, wir werden frei sein.« Im Spiegel sah Mickey, wie sie sich küssten – eine lange, sehnsüchtige Liebkosung –, und er spürte, als er den Blick senkte, wie er in seinem Herzen Mitleid empfand. Dann öffnete sich die Schiebetür, und sie war draußen, ging quer über die Gleise auf das Gebäude zu.
»Sie wird es schaffen. Sie werden es beide schaffen«, sagte Mickey verlegen in die Stille hinein. Ein Rascheln ertönte, und dann setzte sich Rossokow neben ihn auf den Vordersitz. Er saß einen Augenblick lang still da und blickte der dunklen Gestalt nach, die sich von ihnen wegbewegte.
»Sie wollten wissen, was hier vorgeht«, sagte er schließlich. Mickey nickte und sagte dann: »Ja«, als der Mann den Blick nicht von der immer kleiner werdenden Gestalt abließ. »Ich kenne nur einen Teil des Warums, und davon ist vieles auch nur Vermutung. Aber ich will Ihnen verraten, was Sie wissen müssen. Sie und ich sind … von einem Zustand befallen … der es uns schwierig macht, uns bei Tageslicht zu bewegen. Dieser selbe Zustand kann zugleich auch eine längere Lebensspanne bedeuten. Wie es scheint, hat jemand unsere Existenz entdeckt und sieht materiellen Nutzen darin, diesen Zustand auszubeuten. Man verfolgt mich jetzt schon seit geraumer Zeit.«
Mickey saß einen Augenblick lang stumm da und nahm das Gehörte in sich auf. Das, was der Mann sagte, klang aufrichtig, aber … Er erinnerte sich an die Überzeugungskraft jener Stimme. »Warten Sie einen Moment. Ardeth war nicht immer in diesem … diesem Zustand, oder wie Sie das auch nennen, nicht wahr? Sonst hätte Sara das erwähnt.«
»Das ist richtig. Sie ist meinetwegen davon befallen worden. «
»Sagen Sie etwa, dass dieser Zustand übertragbar ist?«
»Nur unter sehr speziellen Umständen. Sie können ganz sicher nicht infiziert werden, indem Sie hier neben mir sitzen.« Eine Andeutung von Humor schwang in Rossokows Stimme mit. Mickey musterte ihn einen Augenblick lang scharf, betrachtete das graue Haar und die feinen Linien um seine Augen und seinen Mund.
»Wenn dieser Zustand bedeutet, dass Sie länger leben, könnten Sie selbst ein Vermögen daraus machen. Es gibt eine ganze Menge Leute, die es als einen kleinen Preis betrachten
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