Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Augen gegen das fast spürbare Gewicht des Lichts geschlossen, erforschte die Welt, die sie umgab. Weit entfernt, an den Rändern ihres Bewusstseins, konnte sie Rossokows Anwesenheit spüren, sie trieb wie eine hartnäckige Erinnerung an den äußersten Grenzen ihres Wesens dahin.
Sie ließ sich in ihren Körper zurückfallen und spürte, dass sie unter einer Decke lag. Die Schuhe hatte man ihr ausgezogen. Sie konnte den schwachen Druck eines Verbandes an ihrer Vene spüren. Bei der Erinnerung an die Nadel, die in ihre Haut geglitten war, an die lautlose Würdelosigkeit der Untersuchung, spürte sie, wie schwarzer Zorn in ihr anschwoll. Sie hielt ihn zurück, ließ ihn aber verweilen, weil sie wusste, dass er half, die lähmende Furcht im Zaum zu halten, die sie während ihrer Gefangenschaft in der Irrenanstalt erlebt hatte.
Sie regte sich unter der Decke, zog einen Arm heraus und deckte ihn über ihr Gesicht, während sie die Augen langsam einen Schlitz weit öffnete und sich umsah. Diese Zelle war so weiß wie die letzte dunkel gewesen war, so modern wie die andere alt. Aber ansonsten fühlte sich alles gleich an, und roch auch so: Abgestandener Schweiß, Urin, und der Kupfergeschmack von Angst.
Es war jemand bei ihr in dem engen Raum. Eine dunkle Gestalt lag ausgestreckt auf dem anderen Bett, das eine Knie aufrecht angezogen, der Fuß rhythmisch zuckend, während die Hände eine stumme Begleitung auf der Decke klopften.
Ardeth schloss einen Moment lang die Augen. Du hast gewusst, dass das kommen würde, dachte sie, ärgerlich über die plötzliche Angst, die ihre Erleichterung hinwegschwappte. Sei dankbar, dass sie in Sicherheit ist, zerbrich dir später den Kopf, was du ihr sagen wirst.
Sie zwang ihre Augen, sich zu öffnen, und setzte sich dann auf. Auf dem anderen Bett ahmte Sara die Bewegung nach, sprang mit aufgestauter Energie angetrieben von der Matratze. Sie hielt ebenso plötzlich auf halbem Weg zwischen den beiden Pritschen inne, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. »Nun. Du bist wach. Ich habe schon gedacht, die Wirkung von dem Zeug, das sie dir gegeben haben, was auch immer es war, würde nie aufhören.«
»Was auch immer es war . . .«, wiederholte Ardeth verwirrt.
»Das Mittel, das dich so hat schlafen lassen. Ich habe den Verband gesehen. Bist du in Ordnung?«
»Ja. Und du? Haben sie dir wehgetan?«, fragte Ardeth ein wenig verlegen, als sie plötzlich die Schramme am linken Wangenknochen ihrer Schwester bemerkte und die zerfetzte Schulter ihres T-Shirts. Obwohl, dachte sie plötzlich wie aus weiter Ferne, der Riss natürlich auch Absicht sein könnte.
»Nicht so weh, wie ich ihnen getan habe, hoffe ich«, erwiderte Sara mit einem kurzen Lächeln. Erst jetzt schien ihr aufzufallen, dass sie immer noch stand, und sie setzte sich wieder auf ihre Bettkante. »Die haben mir eine Nachricht geschickt, dass du in der Gasse auf mich warten würdest. Als ich hinausging, sind sie über mich hergefallen.«
»Ich war im Club. Ich muss dich um ein Haar verpasst haben. «
»Wie bist du …« Sie hielt inne, strich sich mit der Hand durch das kupferfarbene Haar und fing dann noch einmal an: »Was ist geschehen?«
»Sie haben den Club angerufen und mit deinem Freund Mickey gesprochen. Er hat mir ausgerichtet, was sie wollten.«
»Dich.«
Ardeth nickte langsam, wohlwissend, dass sie sich mit jedem Wort näher und näher an die Frage herantasteten, vor der sie solche Angst hatte.
»Es tut mir leid, Sara. Es hätte nie passieren dürfen, dass du da hineingezogen wirst.«
»Aber ich habe Recht gehabt. Du warst nicht tot.«
Ardeth atmete tief ein und sah sich im Zimmer um, damit sie Sara nicht ansehen musste. Sie sah die über der Tür angebrachte Kamera, deren Objektiv auf sie beide gerichtet war, bemerkte auch den langen Spiegel an der Wand über Saras Bett, in Wirklichkeit ein Fenster, das nur auf einer Seite verspiegelt war. Was wirst du ihr sagen?, schienen sie zu fragen. Was wirst du mir sagen?
»Ich bin tot.«
»Hör mit dieser Scheißsymbolik auf«, sagte Sara und fegte mit dem plötzlichen Schimpfwort die formelle Höflichkeit weg, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.
»Ich bin am 8. April an Blutverlust gestorben. Wenigstens glaube ich, dass es der 8. war, aber ich hatte keinen Kalender zur Hand. Man hat mich im Wald irgendwo im Nordosten der Stadt begraben. An derselben Stelle, wo schon vier oder fünf andere Frauen begraben worden waren.« Die Worte kamen ihr ganz
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