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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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des Films in Schnellvorlauf abgespult und ihr dann die letzten Augenblicke in Normalgeschwindigkeit gezeigt. Dann hatte er ihr die Aufzeichnung vorgespielt, die das Filmstudio eine Woche später zeigte, und dabei ihr Gesicht beobachtet, als die Kamera auf den Leichen verweilte, die in dem höhlenartigen Raum herumlagen. Er hatte gehofft, sie zu schockieren, ihr Angst einzujagen, und das war ihm auch gelungen.
    Die Filme, wenn sie denn echt waren, legten Zeugnis für die physische Existenz und die gewalttätige Kraft der Kreaturen ab, die sie studieren sollte. Aber das Bild, das in ihr haftenblieb, war nicht das des spitzzahnigen Monsters oder der zerfetzten Leichen, sondern das des Mannes in dem teuren Geschäftsanzug, der ihr das sadistische Vorspiel zu den Morden im Schnellvorlauf zeigte. Das Monstrum, das er auf der Leinwand gezeigt hatte, dachte sie später, war vielleicht gar nicht das, das sie hatte sehen sollen.
    Die junge Frau leistete keinen Widerstand, als man sie auf den Stuhl schnallte. Lisa zog Gummihandschuhe über, während Elder den Jackenärmel der Frau hochschob und ihr über dem Ellbogen eine Kompresse anlegte. Haselnussbraune, dunkle Augen ruhten kurz auf der Nadel in Lisas Hand und huschten dann weiter. Lisa spürte, wie die Frau sich Mühe gab, ihr Zusammenzucken zu verbergen. Sie hat Angst vor Nadeln, dachte sie plötzlich. Nicht die Angst eines Frankensteinmonsters vor dem Feuer oder die von Zelluloidvampiren in Smoking vor Kruzifixen, sondern eine ganz gewöhnliche menschliche Angst vor Nadeln.
    Während sie die freigelegte Armbeuge mit Alkohol betupfte, hätte Lisa beinahe gesagt: »Ist schon gut, es ist in einer Minute vorbei.« Aber sie erinnerte sich an Rookes Anweisung und blieb stumm, als sie die Nadel in die blaue Vene stach und ein Fläschchen nach dem anderen in den Zylinder drückte. Das Blut sah wie das eines Menschen aus. Lisa trat zurück, um Parkinson Hautproben nehmen zu lassen.
    Sie bewegten sich wie ein glattes Räderwerk, dankbar für die Gelegenheit, endlich zu handeln, ihre Ängste hinter ihren vertrauten Handgriffen zu verbergen. Hanick nahm ihr die Blutproben ab und begann, sie zu etikettieren, separierte sie für die Tests, die er vornehmen wollte. Martinez brachte das speziell entwickelte EEG-Gerät und begann dann, die spinnwebenartigen Drähte mit Saugnäpfen an der reglosen Gestalt auf dem Sessel anzubringen. Elder vollzog das Ritual, ihren Pulsschlag, den Blutdruck, die Pupillenkontraktion und das Zucken der Reflexe in den schwarz bestrumpften Beinen zu messen.
    Irgendwann während dieser ersten Untersuchung verschwand Rooke, die stummen Wächter neben der Tür als Erinnerung an seine Präsenz zurücklassend. Das Team ignorierte sie, und Lisa spürte, wie der weißglühende Schmerz zwischen ihren Schulterblättern nachließ, jetzt, wo sie von der Last von Rookes Blick befreit war.
    Sie hatten die ersten Proben genommen, als die Sonne aufging – gemäß der an der Wand befestigten Tabelle, sichtbare Hinweise hatten sie nicht. Das EEG summte weiter, Nadeln kratzten den mysteriösen Rhythmus der Hirnwellen des Subjekts auf Kurvenpapier. Die halbgeschlossenen Augen der Frau schlossen sich ganz, das Kratzen wurde langsamer und ging in eine gerade Linie über, bis Martinez schließlich die Hand ausstreckte und die Maschine abschaltete. »Sie ist weg«, bestätigte er. »Sollten wir weitermachen?«
    »Halten wir uns an den Plan. Wir haben genügend Basisindikatoren, um uns den ganzen Tag zu beschäftigen.« Lisa wandte sich den Wächtern zu. »Sie können sie jetzt wegbringen. « Und das taten sie. Einer legte sie sich über die Schultern, der andere hielt das Ultraschallgerät, während sie die Frau in die enge, mit stählernen Wänden versehene Beobachtungszelle trugen, die eine Seite des Labors einnahm.
    Dabei glitt etwas Weißes aus ihrer Tasche und blieb schlaff auf dem Boden liegen. Lisa beugte sich vor und hob das Halstuch auf. Die Seide floss ihr wie ein fragiler weißen Strom durch die Finger.
    Sie steckte es in die Tasche und wandte sich dann wieder den Labortischen zu, wo die Blut-, Haut- und Gehirnmuster der anonymen Frau darauf warteten, erforscht, in kleine Stückchen aufgeteilt und nackt unter dem unbarmherzigen Auge der Wissenschaft ausgebreitet zu werden.

30
     
    Ardeth schwamm aus der warmen, behaglichen Dunkelheit des Schlafes nach oben und kam in einer schmerzhaften, strahlend hell erleuchteten Realität an die Oberfläche. Sie lag reglos da, die

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